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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Zimmernachbarn murren hören anstelle dieser hässlichen, finsteren Vögel. Anstelle von Johannes ein ebenso unerbittlicher Doktor. Anstelle von Elias, der sich um vier Tage oder vier Monate versieht, ein Krankenwärter, der nicht auf das Klingeln hört. Anstelle eines Erzengels ein Priester, der die Freuden des Paradieses schildert. Anstelle eines Flusses eine Straßenbahnlinie.

    So war ich völlig mutlos, als ich plötzlich wieder den milden Duft der Alpenveilchen wahrnahm. Es war ein fast unmerklicher und unbeständiger Duft. Ja, je mehr ich schnupperte, desto mehr musste ich mich davon überzeugen, dass er nur in meiner Einbildung bestand.«Vielleicht kommt er von diesen Bäumen», dachte ich. Doch die Bäume rings um die Hütte blühten nicht, sie waren unempfänglich für jeden Frühling, und ich glaube nicht, dass es den Vögeln gefiele, wenn sie blühen würden. Im Halbschlaf hielt der Duft an, doch nach und nach, als die Lider schwerer wurden, verflog er, und ich hegte den Verdacht, dass es ein verwelktes Alpenveilchen war, ein einziges altes im Bouquet verwelktes Alpenveilchen.«Es stimmt schon», dachte ich,«die Phantasie trügt mich, ich bin müde und erschöpft, und die Mattheit macht mich empfindlich für die feinsten Gerüche. Ich eigne mir die Witterung eines Tieres an.»Und ich lachte.«Vielleicht», überlegte ich weiter,«werde ich mit der Zeit noch den Mond anheulen oder einen Maulwurf auf zwei Kilometer Entfernung seufzen hören.»Allerdings vermochte ich mir nicht zu erklären, wieso ich mich darauf versteifte, diesen Geruch als Alpenveilchenduft zu bezeichnen, zumal ich mich nicht daran erinnerte, jemals Alpenveilchen gerochen zu haben.«Es wird irgendeine beliebige Blume im Gehölz sein»,
schloss ich. Immerhin stellte ich fest, dass der Duft vor allem in der Nähe des Tornisters wahrzunehmen war. Ich beroch den Tornister, und da fiel es mir ein: Ich hatte ihn in den Lastwagen des Majors gelegt, und sicherlich beförderte der Major neben anderer Ware auch diese abscheulichen, bei den Eingeborenen so beliebten Essenzen, die der Händler auf dem Platz von A. verkaufte. Ja, jetzt erinnerte ich mich daran, dass dieser Duft mich auf der Fahrt von Massaua nach D. geradezu betäubt hatte. Ein zerbrochenes Fläschchen, und der Tornister war durchtränkt davon.«Das erklärt alles», sagte ich. Ich war gerade am Einschlafen, als ich Johannes auf die Hütte zurennen sah, so schnell seine Schwäche es ihm erlaubte.«Elias ist gekommen», dachte ich. Als Johannes in der Tür stand, verkündete er mir kaltblütig, dass die Carabinieri gekommen seien.
    Er hatte mit leiser Stimme gesprochen, und ich glaubte, die Carabinieri stünden bereits auf der Lichtung. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich erhob mich, und als Erstes zog ich mir die Jacke über; ich wollte mich nicht in diesem jämmerlichen Zustand finden lassen. Ich machte eilig die Knöpfe zu, band das Koppel um, suchte im Tornister nach dem Kamm. Erst jetzt fiel mir ein, Johannes zu fragen, wo die Carabinieri sich aufhielten. Er erwiderte, dass sie den Pfad zum Hügel
hinaufkämen; als er sie bemerkte, seien sie noch dreihundert Meter entfernt gewesen.«Dummkopf», dachte ich. Ich nahm den Tornister und beschloss zu flüchten. Plötzlich erinnerte ich mich an das Maultier. Wenn die Carabinieri ein Maultier der Heeresverpflegung an diesem Ort fänden, würde der Alte des Diebstahls bezichtigt, und um sich zu rechtfertigen, würde er ihnen mein Versteck zeigen.«Das Maultier», rief ich. Johannes sah mich einen Augenblick verständnislos an, dann lief er auf die Lichtung zu. Bebend erwartete ich ihn bei der Weggabelung, und bald darauf trottete das Maultier herbei, ganz sorglos. Ja, es blieb sogar stehen, um zu fressen, aber Johannes versetzte ihm einen solchen Schlag auf die Kruppe, dass es sofort aufhörte und sich zum Nebenfluss führen ließ. Die Carabinieri schwenkten in den Pfad ein und gingen am Grabhügel vorbei; zwischen den Bäumen hindurch konnte ich sie noch rechtzeitig erspähen. Ich erkannte ihre Kragenspiegel, ich sah, dass sie die Karabiner nicht auf der Schulter, sondern in der Hand trugen, also schussbereit. Und ihnen voran ging Elias.
    «Kleiner Schurke», sagte ich und bog in den Pfad ein, das Maultier vorwärtsstoßend, das nun folgsam geworden war. Ich war beinahe versucht, wieder hinaufzusteigen und diesem Jungen die verdiente Lehre zu erteilen, ehe ich das Dorf mit
den Carabinieri verließ. Ich war so dumm gewesen, ihm

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