Alles hat seine Zeit
seines Gewandes. Er schien froh darüber. Aber er dankte nicht; er schaute mich kaum an, dann hielt er mir die Hand hin.
Als ich seine Hand drückte, fühlte ich, dass sie brennend heiß war.«Geht es dir schlecht, Johannes? », fragte ich.
«Nein», erwiderte er. Und er fügte noch hinzu:
«Nein, Herr Oberleutnant.»Seine Stimme war matt, plötzlich die Stimme eines hilflosen alten Mannes. Ich setzte mich auf den Hocker neben sein Lager und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich musste etwas tun, ehe ich fortging; da nahm ich den Verband von der Wunde: nichts Ernstliches, in wenigen Tagen würde sie zuheilen. Ich reinigte sie noch einmal sorgfältig; doch bei dem Licht, das schon die Hütte durchflutete, sah ich, dass Johannes bleich war; ein aschfahler Schleier lag über seinem von der Sonne verbrannten Gesicht. Vielleicht war es nur ein vom jähen Rausch verursachtes Fieber. Ich ließ ihn zwei Aspirintabletten schlucken und gab ihm das Röhrchen, um das ich damals den trägen Doktor gebeten hatte und das ich dann gleichsam als Unterpfand einer Freundschaft, die unter einem Unstern entstanden war, in meinem Tornister behalten hatte. Es war nur gerecht, dass ich es Johannes überließ, meinem unerbittlichen Feind.«Leb wohl, Johannes», wiederholte ich und gab mir dabei Mühe, meiner Stimme einen heiteren Klang zu verleihen; und fast wie um meine Besorgnis zu beschwichtigen (immer ließ ich jemanden im Unglück im Stich), sagte ich ihm, dass er noch am selben Tag genesen werde. Zu den Geschenken fügte ich noch eine Büchse Marmelade hinzu.
Jetzt konnte ich gehen.
Trotzdem blieb ich.«In drei Tagen kommt Elias zurück», sagte ich mir,«und dann werde ich Johannes verlassen. Außerdem bringt Elias Zigaretten mit und erspart es mir, in den Dörfern danach zu fragen oder die Soldaten, denen ich begegne, darum zu bitten. So hinterlasse ich viel weniger Verdachtsmomente auf meinem Weg.»Dies überlegte ich, doch was mich in Wahrheit zurückhielt, war Johannes’ Blick, als ich mich umwandte, um ihn zum letzten Mal zu grüßen, nachdem ich durch die Tür gegangen war. Es war ein Blick, der mich schon einmal getroffen hatte, und im selben Moment wusste ich (ich hatte die Frage nie gründlich untersucht), dass Johannes Mariams Vater war. Ich hatte mich nie gefragt, was Johannes für Mariam gewesen war, und jetzt wusste ich es. Immer hatte ich den Gedanken von mir gewiesen, dass Elias Johannes’ Sohn sei, aber jetzt war alles klar. Sein Aussehen hatte mich getäuscht. Doch bei diesem wütenden Kampf am Tag zuvor hatte ich gespürt, dass es nur eine Vermutung von mir gewesen war, Johannes sei alt. Ich hatte sein Alter festgelegt, als ich ihn seine Toten begraben sah. Damals war er uralt.
Ich blieb, und Johannes wurde in drei Tagen gesund, und man kann sagen, dass wir in diesen drei Tagen Freunde wurden, oder zumindest gab ich mich dieser Illusion hin.
10
Am Morgen des vierten Tages, nachdem Elias gegangen war, stand ich am Rand der Lichtung und wartete darauf, unten zwischen den Ästen des Gehölzes das Kind auftauchen zu sehen; da rief mich Johannes. Er war noch sehr schwach; höflich zeigte er mir den leeren Blechkanister: Er wollte mir damit zu verstehen geben, dass ich gehen solle, um ihn zu füllen, und ich ging. Ich war sehr erregt an jenem Morgen, weil ich auf Elias wartete. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich die Zeit seines Kommens nicht genau mit ihm vereinbart hatte; so würde ich nun den Tag damit verbringen, auf ihn zu warten, und ich konnte mich nicht auf sein Zeitgefühl verlassen. Vier oder fünf Tage, das war für Elias dasselbe. Ja, sogar vier Tage oder vier Monate. Er besaß zwar eine Uhr, aber nur aus Eitelkeit und damit seine jungen Freunde ihr Ticktack hören sollten. Er würde wer weiß wann kommen, fröhlich und ohne im Geringsten zu vermuten, dass er sich verspätet haben könnte. Und er würde ein zerknittertes Päckchen mitbringen, oder vielleicht zwei Zigaretten, oder auch nur eine, hinters Ohr geklemmt. Ich ärgerte mich immer mehr, dass ich nichts fest vereinbart hatte, sondern seine Laune entscheiden ließ. Nachdem ich am Ufer den Blechkanister gefüllt
hatte, zog ich mich aus und stieg ins Wasser, um mich zu beruhigen.
Ich schwamm nahe am Ufer entlang und ging gleich wieder an Land, denn ich wollte mich keinen Gefahren aussetzen, ausgerechnet an diesem Tag. Aber das Bad hatte mich ermuntert, und ich dachte, ich dürfe Elias nicht für so dumm halten. Während ich noch zögerte, mich
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