Alles hat seine Zeit
verkrustet war; ich musste ein bisschen Wasser dazutun: Diese verblichenen Zeilen würden nur ihre Besorgnisse vermehren, dachte ich. Ich wiederholte, was ich in Massaua geschrieben hatte. Doch als ich Elias den Brief aushändigte, fiel mir ein, dass die an«sie»gerichtete Post durch die Zensur ging und dass ich denen, die mich suchten, damit einen Anhaltspunkt
liefern würde. Wahrscheinlich würde irgendjemand nach ein oder zwei Monaten, wenn ich kein Lebenszeichen von mir gab, die Vermutung vorbringen, ich hätte Selbstmord begangen.«Der Mann war erledigt», würde man sagen.«Er hat nur das getan, was wir an seiner Stelle auch täten. »Doch ich durfte«sie»nicht ohne Nachricht von mir lassen; so beschloss ich, an ihre Mutter zu schreiben und mit einem anderen Namen zu unterzeichnen. Sie würde verstehen.
Elias entfernte sich auf dem Pfad, der zum Hügel führte, und ich blieb stehen und schaute ihm nach. Johannes hatte sich in seine Hütte zurückgezogen, um der Sonne zu entfliehen, die auf die Lichtung brannte. Der Kleine lief hüpfend davon, und als er sich umwandte, winkte er weit ausholend mit der Hand, wie zu seinesgleichen. Er hüpfte weiter und war schon auf dem Pfad zum Buschwald angekommen, als ich ihn rief.«Warte! », schrie ich. Ich rannte den Pfad entlang.«Gib mir den Brief wieder.»
Elias durchwühlte den Brotbeutel; er war nicht überrascht und wunderte sich nicht einmal, als er sah, dass ich den Brief zerriss.«Hör zu, Elias», sagte ich. Ich setzte mich hin und forderte ihn auf, sich ebenfalls zu setzen. Ich hielt ihm eine lange, verworrene Rede. Er solle sich dies einprägen: Ich war nicht im Dorf. Er hatte mich nicht gesehen.
Er wusste nichts von mir. Als ich fertig war, nickte er mit dem Kopf, und ich entdeckte in seinem Blick etwas Neues: nicht so sehr die Neugier, zu erfahren, was mir zugestoßen war, als vielmehr die Gewissheit, dass ich jetzt ein schwaches und wehrloses Wesen war. Meine Leute gehorchten mir nicht mehr, dachte er. Ich war besiegt worden, abgesetzt, und er durfte sich erlauben, mich zu beschützen und meine Empfehlungen anzuhören, von Mann zu Mann. Er verriet diese Gedanken durch einen hinhaltenden unartikulierten Laut.
«Wirst du niemandem sagen, dass du mich gesehen hast?»
«Nein, niemandem.»
«Und könntest du nicht morgen wiederkommen mit ein paar Päckchen Zigaretten?»
Er ließ sich bitten. Morgen, nein. Übermorgen, auch nicht. Er spürte, dass er in meinen Augen etwas galt, aber sein Sieg ließ ihn sogar gleichgültig. Er zählte an den Fingern ab.«In vier Tagen», erwiderte er.
«In vier Tagen.»Ich stand auf.«Ich erwarte dich», sagte ich. Er ging davon, doch diesmal ohne zu hüpfen, Herr seines Weges, ein kleiner David, der den Riesen besiegt hat und nun zu seinen Geschäften zurückkehrt.
Ich ging zum Rand der Lichtung und betrachtete das Hochland, während ich mit Sehnsucht an
die Freunde dort oben dachte; und dann dachte ich an die Akte mit meinem Namen, die jetzt zwischen den Papieren in der Schreibstube lag. Immer ferner schien mir dieses Hochland zu rücken; Elias war es vergönnt, dorthin zu gelangen, und auch dem Maultier war es vergönnt, wenn es nicht so störrisch auf seiner Bewunderung für diese Gegend und seinen griesgrämigen Alten beharrte.
Nach meinem Besuch an Mariams Grab hatte Johannes kein Wort mehr an mich gerichtet, und seit vier Tagen lebten wir nebeneinander, indem wir uns ignorierten. Ich hatte zwar versucht, ihn zum Sprechen zu bringen, aber er hatte nur immer mit dem Kopf genickt und mit leise gemurmelten kurzen Worten geantwortet, allerdings ohne Groll. So hatte sich zwischen uns die Gleichgültigkeit der Schiffbrüchigen eingestellt, die auf keine Hilfe hoffen und einander beim Sterben zuschauen. Oft suchte ich nach dem Grund für sein hartnäckiges Fragen, wo ich an jenem Tag gewesen sei. Von meinem Verweilen an Mariams Grab konnte er bestimmt nichts wissen, seine Neugier war also ungebührlich. Hätte ich ihm geantwortet, wäre ich in seinen Augen verächtlicher als das Maultier, das gerade auf dem Grabhügel der Lichtung graste. Ich bereute es daher nicht, ihn wegen seiner Taktlosigkeit zurechtgewiesen
zu haben, auch wenn ich jetzt bedauerte, dass unsere kurzen und nicht einmal vergnüglichen Gespräche der ersten Tage abgebrochen waren, und auch, dass ich mich nun selbst zum Nebenfluss begeben und den Blechkanister füllen musste, da ich mich in der runden Hütte eingerichtet hatte. Übrigens, am Ufer zu
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