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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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es sich nicht hineinstürzen zu meiner Verfolgung, nur aus Neugier oder zum Spiel? Und dann im Wasser, wer würde da seinen zarten Zähnen standhalten? Würde ich wagen, es anzufassen, dieses schlüpfrige und gepanzerte kleine Ungeheuer?
    Wir rührten uns nicht. Das Krokodil hielt selbst die äußerste Schwanzspitze still, was dem Maultier nicht gelang. Und jetzt begriff ich, von wem diese regelmäßigen Spuren stammten, die wie von einer Egge gezogen waren. Sie stammten von ihm; also pflegte es sich häufig auf dieses Ufer zu wagen, seine Höhle war nicht weit von hier, also waren auch seine Verwandten in der Nähe.
    Wenn das Maultier schrie? Vielleicht würde das Krokodil sich bewegen, und dann musste ich irgendetwas tun. Ich weiß nicht, wie lange wir
dort regungslos standen und uns ansahen. Aber endlich bewegte sich das Krokodil, kam auf mich zu, wobei es den Kopf hob, und blieb stehen, ein paar Schritte von mir entfernt.
    Langsam drehte es den Kopf, von einer müden Neugier gepackt. Es vermutete in mir keinen Feind. Ich konnte seine spitzen Zähnchen genau sehen, seine langen Kiefer, die sich von Zeit zu Zeit schlossen mit dem trockenen und gleichmäßigen Geräusch eines gut konstruierten Türschlosses. Es blieb stehen (auch das Maultier wagte nicht, sich zu regen), und seine schmutzigen Flanken bebten. Vielleicht fragte es sich ebenfalls nach dem Grund dieses Wartens. Ich vermute sogar (zwar kenne ich die Gepflogenheiten derartiger Tiere nicht und möchte sie jetzt auch nicht mehr kennenlernen), dass es die Absicht hatte zu spielen. Wenn ich ihm meine Hand hinstreckte, würde es sie abbeißen, aber nur zum Spiel. Es war sehr jung; der Fluss hatte es noch nichts gelehrt, und ich war der erste Mensch, den es sah. Vielleicht machte meine Größe es langsam argwöhnisch. Alle diese Betrachtungen konnte ich allerdings erst hinterher anstellen; in jenem Augenblick war ich gebannt von diesem Ungeheuer und hatte nur den Wunsch, ihm zu entkommen. Die Aufregungen des Vormittags hatten mich zutiefst aufgerüttelt und verliehen mir eine neue,
angespannte Energie. Als ich nun diesen zutraulichen Drachen sah, der sich nicht auf meine Waden stürzte, sagte ich mir, dass ich sofort handeln müsse, ohne Zeit zu verlieren. Das Krokodil stand immer noch reglos da und bewegte nur leicht die Kiefer, doch seine Augen ließen mich keinen Moment los; und auch ich wagte nicht, meinen Blick von dem seinen zu wenden, da ich fürchtete, den Waffenstillstand zu brechen.
    «Seine Neugier wird nicht immer so beschaulich bleiben», dachte ich.«Ich muss handeln, aber wie?»Es war das Krokodil selbst, das mich auf den Gedanken brachte, als es den Kopf hob. Vielleicht wollte es zum Angriff übergehen. Jedenfalls hob es den Kopf. Ich tat ein paar Schritte rückwärts, ohne dabei den Blick von ihm zu wenden, und dann ging ich auf es los.
    Das Tier empfing einen furchtbaren Fußtritt unter den Unterkiefer. Es drehte sich auf dem Schwanz herum, beschrieb einen schnellen Halbkreis und schlug mit dem Rücken auf dem Wasser auf. Einen Augenblick lang sah ich seinen von der Anstrengung gespannten, weißlichen, schmutzfarbig geäderten Bauch und seine zusammengekrampften Füße. Dann verschwand es im Schaum, drehte sich, betäubt vielleicht oder nur überrascht, und entfernte sich schwimmend unter Wasser.

    Es machte sich davon. Ebenfalls von seiner Flucht überrascht, ließ ich mich am Ufer fallen, außerstande, meine Gedanken zu sammeln. Ich begann mir das Fußgelenk zu massieren und redete laut; dabei bemerkte ich nicht einmal Elias, der den Pfad herabkam und mich rief. Er winkte mir hastig zu, lächelte aber dabei. Als er bei mir war, sagte er, dass die Carabinieri fort seien, ich könne wieder hinaufkommen.
    Nun, was an jenem Tag noch geschah, ist rasch gesagt. Auf der Lichtung angelangt, öffnete Elias den Brotbeutel und zog Zigaretten, Obst- und Fleischkonserven daraus hervor. Die erste berauschende Zigarette ließ mich sogar vergessen, Johannes zu fragen, warum die Carabinieri gekommen seien. Ich erfuhr es später: Sie waren von Schüssen angelockt worden. Ich war es, der geschossen hatte: auf das vermeintliche Krokodil. Dann waren sie auf Elias gestoßen und hatten ihn begleiten wollen. Dieses allzu sehr herausgeputzte Kind mit den vielen Sachen im Brotbeutel hatte sie argwöhnisch gemacht. Doch Elias hatte zu schweigen gewusst, und der Alte hatte sich sogar noch besser betragen. Seine Pensionsbescheinigung war gelesen und bestaunt worden.
    Am

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