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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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einzuschärfen, niemandem ein Wort von meiner Anwesenheit im Dorf zu sagen, so dass, falls er selbst nichts begriffen hatte, ich ihn alles hatte begreifen lassen. Und ich hatte ihn sogar gebeten, mir Zigaretten mitzubringen. Jetzt fiel mir seine anfängliche Weigerung wieder ein und dann der ernste Blick, mit dem er mich musterte unten auf dem Pfad zum Gehölz, und schließlich sein Entschluss zurückzukommen, zu dem ich ihn bewogen hatte. Er hatte die Tage mit den Fingern an der Nase abgezählt, geradeso wie der Alte. Und ich hatte gewartet, voller Vertrauen zu diesem Kind, das schon beim Weggehen darüber nachdachte, wie es mich verraten könne. Elias hatte meine Ohrfeige damals im Zelt nicht vergessen, auch er wollte seinen Teil an der Rache, den schlimmsten.«Zum Glück ist Johannes da», dachte ich.«Wenn er verziehen hat und seine Freundschaft in diesen Tagen aufrichtig ist, wird er alles daransetzen, mich zu retten. Doch kann ich Johannes trauen, dem dritten Glied in der Verschwörung, der noch die Stirn verbunden trägt durch meine Schuld?»
    Ich beschloss den Nebenfluss zu durchqueren und in den Buschwald einzudringen, auf die Berge zu. Ich wollte im Busch übernachten und am nächsten Morgen dem Pfad bis nach A. folgen.

    Die Carabinieri würden schließlich auf die Worte des Kindes überhaupt nichts mehr geben, wenn der Alte sie Lügen strafte. Sie würden zum Hochland zurückkehren, denn es ist keineswegs ein Vergnügen, im Buschwald herumzustreifen.
    Am Ufer angelangt, schwang ich mich auf das Maultier und stieß es ins Wasser. Es wollte nicht recht voran. Es ging mit den Hinterbeinen hinein, zog sie aber sogleich wieder zurück. Ich konnte es weder antreiben noch schlagen, weil ich fürchtete, es würde schreien; ich musste absteigen. Der Wasserlauf war nicht sehr breit, in wenigen Zügen würde ich das andere Ufer erreichen. Ich musste den Tornister mit mir nehmen, da ich nicht wusste, was das Maultier tun würde. Ich musste mich beeilen und war derart aufgeregt, dass ich nicht auf die Nervosität des Tieres achtete. Es schlug aus, zog sich zurück, wollte nichts davon wissen, ins Wasser zu gehen. In diesem Augenblick dachte ich überhaupt nicht an das Krokodil, vergebens hatte ich es herausgefordert, und jetzt war es mir aus dem Sinn gekommen; ich hielt es für eine Einbildung oder für so harmlos wie das auf der Malerei. Ich stieß das Maultier noch einmal, aber es machte einen raschen Sprung rückwärts.
    Am Ufer lag ein Krokodil, nicht länger als fünf Spannen, vielleicht weniger. Es war ein sehr junges Krokodil, vermute ich, doch habe ich mich
nachher nie gefragt, wie viele Monate oder wie viele Jahre es alt sein mochte. Es war von einer faulig-grünlichen Farbe, weißlich und gelb an einigen Stellen an den Flanken. Es lag reglos am Ufer, die Schwanzspitze im Wasser, fast als wolle es sich vergewissern, dass dieses die richtige Temperatur habe. Es sah uns an, wir sahen es an, und keiner von uns dreien rührte sich.
    Ich zog langsam die Pistole heraus und entsicherte sie; ich würde treffen. Das Krokodil lag knapp zwei Meter von uns unbeweglich da. Während ich zielte, dachte ich wieder an die Carabinieri oben auf der Lichtung. Ich hielt die Pistole in der Hand und schoss nicht. Das Maultier schlug mit dem Schwanz hin und her, es war, als habe sein ganzes Entsetzen darin Zuflucht gesucht; seine Oberlippe zitterte leicht. Es starrte dieses unbekannte Tier an, von einer beinahe menschlichen Angst verstört, und es würde sich nicht vom Fleck rühren, solange es nicht verstanden hatte. Auch ich wagte nicht, mich zu bewegen; so standen wir reglos da und warteten. Worauf? Worauf warteten wir? Ich dachte, dass wir auf den Vater oder auf die Mutter des Tieres warteten.
    Man musste sich davonmachen. Ich wagte nicht, die Augen vom Krokodil abzuwenden. Verstohlen blickte ich ringsum, beim leisesten Rascheln bereit. Wenn das große Krokodil auftauchte,
das uralte, das alles wusste von diesem Tal und auch ein wenig von der Weltgeschichte, gab es keine Rettung für uns. Vielleicht würde das Maultier fliehen. Vielleicht würde ich dort stehenbleiben, festgenagelt vom Entsetzen. Es könnte aber auch nicht vom Wasser, sondern vom Ufer her kommen und den Ring schließen. Wenn ich dann die Kraft fände, mich zu bewegen - und daran zweifelte ich -, würde ich mich ins Wasser werfen müssen, so weit wie möglich vom jungen Krokodil entfernt, und versuchen, das andere Ufer zu erreichen. Und das junge Krokodil? Würde

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