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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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kennen, der den Abend anbrechen sieht und es nicht mehr fertigbringt zu lachen. Der Tag ist zu Ende, morgen fängt man von neuem an, und die einzige Hoffnung war vielleicht jener Brief im Zelt des Postboten. Ein zerknitterter Brief, und darin ein paar eilig hingeschriebene Worte in ihrer feinen runden Handschrift mit der schüchternsten Unterschrift, die ich kenne. Zu diesem Brief musste ich gelangen, möglichst sofort! Aber die Lastwagen standen still, und die Fahrer schliefen, das Gewehr neben sich. Und dann… würde ich wieder zum Fluss und zu den Bergen aufbrechen?«Nein», sagte ich,«im Morgengrauen nach Asmara und, noch einmal: zum Teufel mit den Konsequenzen.»
    Das Mädchen erwartete mich, aber ich trank so lange, bis ich das Zimmer und die Schatten darin sich drehen sah. Ich trank mit Absicht, obwohl ich es hasse, mich zu betrinken, und mir von diesem Alkohol überhaupt keine Erleichterung erhoffte. Ich hätte davon gewiss keine Erleichterung verlangt,
die nur ich mir nun verschaffen konnte, indem ich mich zu dem Mädchen ins Bett legte und mich davon überzeugte, dass die eine so viel wert ist wie die andere.«Es ist nichts draußen liegengeblieben, alles ist im Grab», sagte ich. Aber man sollte das Grammophon aufziehen, trinken, dem Mädchen auf den Hintern klapsen, den Major ermuntern; denn es war entschieden: Ich würde nicht zum Fluss zurückkehren. Sich in einem Krankenhaus unterbringen lassen? Mal sehen.
    Die Mädchen lachten, als sie uns so fröhlich sahen, ein Zeichen, dass das Fest gelang. Schade, man konnte nicht die neun (oder zehn?) Nachbarinnen mit ihren kleinen Kindern holen. War dies vielleicht der richtige Augenblick, den Militärmarsch aufzulegen? Aber ja, legen wir ihn mal auf. Als der Major die kriegerischen Klänge vernahm, lief er hin, um die Platte abzunehmen, dann legte er sich wieder auf das Bett des Mädchens. Ich ertrug seine plötzliche Unbefangenheit nicht. Ich ging ins andere Zimmer hinüber und blieb stehen, um die Frau anzuschauen, die sich schon hingelegt hatte und auf mich wartete, ohne sich zu langweilen. Ich setzte mich aufs Bett und betrachtete sie genau. Ihre Haut war nicht sehr hell und ihr Lächeln das eines guten Haustieres, das wartet. Sie blieb reglos liegen, nicht ahnend, dass ich sie so überscharf vor mir sah.«Sie
war ähnlich wie diese hier», sagte ich.«Ähnlich wie dieses Tier, das die Einsamkeit, die der Verdruss noch schlimmer macht, dir anbietet wie eine Luftspiegelung.»Oder versuchte ich mich zu täuschen? Suchte ich eine Entschuldigung, die mich trösten sollte? Ich war froh, sie im Geruch der Frau zu finden, einem pflanzlichen Geruch wie von einem geduldigen Baum, vermischt mit einem so süßen Duft, dass mir davon übel wurde. Ich wagte nicht, sie zu berühren; wenn das Bett sich zu drehen begonnen hätte, wie ich fürchtete, hätte ich fortgehen müssen. Ich musste aber bleiben. Ich versuchte der Frau direkt in die Augen zu blicken, sie hatte hellbraune, wie übrigens alle Damen dort unten. Ich brach in Lachen aus.«Du hast auch grüngraue Augen gesehen, die es hier nicht gibt. Willst du wissen, wem die grüngrauen Augen gehören? Bitte, wer hat einen Spiegel?»Ich lachte immer weiter, und die Frau lachte ebenfalls, geduldig und verständnislos.
    «Herr Major», sagte ich. Er antwortete mir mit einem Grunzen.«Herr Major», wiederholte ich,«sind Sie jemals im Kampf gewesen?»
    Er antwortete mühsam und etwas erstaunt:«Ja.»
    «Ist es möglich», fragte ich,«dass ein Soldat, dem die Eingeweide heraushängen, wieder gesund wird?»

    Obschon er verärgert war, sagte er, es sei alles möglich, und ich solle ihn in Ruhe lassen. Das Mädchen lag neben mir und streckte einen Arm aus; ein Baumwollvorhang teilte nun die beiden Zimmer.
    Sollte ich darauf beharren? Ich würde es ohnehin nicht erfahren, selbst wenn ich am nächsten Tag einen Arzt fragte, etwa jenen Arzt, der im Eukalyptuswäldchen seine Zeitungen las.«Wenn man am Bauch verwundet ist», sagte ich,«ist es etwas anderes.»
    «Einer von meinen Soldaten ist davongekommen», erwiderte der Major, und ich hörte das Mädchen lachen, vielleicht, weil er es kitzelte.
    «Hat man ihn sofort operiert?», fragte ich, und es gelang mir, mich auf dem Bett aufzusetzen.
    «Nach sechs oder sieben Stunden.»In seiner Stimme klang die Ungeduld über dieses Gespräch, zu dem ich ihn zwang.
    «Nehmen wir an», sagte ich (die Frau schaute mich dabei an, geduldig lächelnd, und fragte sich nicht nach dem Grund

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