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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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meines Zögerns),«nehmen wir an, ich feure einen Schuss auf den Bauch dieses Mädchens ab…»Schon fragte ich mich, was der Major davon begreifen könne. War es nicht sinnlos, jetzt, an der Seite dieses Mädchens, das immerfort lächelte, solche kindischen Fragen zu stellen?

    «Wenn Sie Lust haben, Patronen zu verschwenden, nur los!», entgegnete er. Dann fügte er hinzu:«Ich werde Ihnen eine tatsächliche Begebenheit erzählen.»Und er berichtete von einem Gemetzel, das er selbst miterlebt hatte.«Es waren Banditen, und der Oberst wollte sie alle umbringen, auch die Verwundeten. ‹Auge um Auge›, sagte er. Und wo er einen Verwundeten fand, schoss er. Er schoss auf den Bauch. Aber sie blickten ihn unverwandt an, bedeckten ihre Augen mit der Hand und sahen ihn zwischen den Fingern hindurch an. Der Arzt kam und sagte: ‹Wenn Sie ihnen nicht in den Kopf schießen, richten Sie nichts aus bei diesen Leuten.› Darauf schoss der Oberst dem ersten Verwundeten, den er sah, in den Kopf. Der Schädel zerbarst, und der Oberst wurde beschmutzt. Sie hätten ihn sehen sollen! Er war außer sich vor Wut. Er überhäufte den Arzt mit Beschimpfungen. ‹Schöne Ratschläge geben Sie mir da›, brüllte er. Er musste gehen und sich umziehen.»
    Die Petroleumlampe war allen lästig; ich ertrug dieses Höhlenlicht nicht und nicht die Schatten, die es in die Zimmerecken warf. Der Major erhob sich und löschte es aus. Im plötzlichen Dunkel hörte ich, dass er sich zu seinem Bett zurücktastete, während er zu lachen versuchte, vor allem aber versuchte, den Klang meines Lachens zu hören,
der jedoch nicht kam. Die Frau neben mir wollte mir etwas ins Ohr flüstern und lachte leise.
    «Ich verstehe», sagte ich,«wenn es sich um leichte Verletzungen handelt.»Doch der Major wünschte nicht, diese Unterhaltung fortzusetzen, und rief scherzend:«Gute Nacht.»Dann musste ich mich hinlegen, der Kopf schwindelte mir vom vielen Cognac, den ich getrunken hatte. Nun war die Nacht auch in dieses Haus eingedrungen, und das Bett schaukelte auf den Wassern eines sehr tiefen, von Bergen umschlossenen Sees, und die Berge waren unwirtlicher als jene, die auf der anderen Seite des Flusses warteten. Aber warum tat das Zahnfleisch immer noch weh?
    Die Frau lag schweigend an meiner Seite. Ich musste sie zumindest nach ihrem Namen fragen. Ich spürte ihren ruhigen Atem und ihren weichen Körper, der in einer tiefen und trägen Erwartung ruhte; doch ich konnte ihren Geruch nicht ertragen, es war ein scharfer Geruch, wie nach einem christlichen Menschentier, es roch darin nach den Sakristeien und den streunenden Hunden und auch nach den Nachthyazinthen in einem warmen Zimmer.
    «Wie heißt du?», fragte ich, aber das Mädchen verstand nicht. Ich wollte gerade die Frage wiederholen, als ein Soldat (wer konnte es sonst sein, wenn nicht ein betrunkener Soldat?) ans Hoftor
klopfte und mit rauher Stimme einige Worte rief. Ich stand mühsam auf. Das Mädchen gab umgehend Antwort, rührte sich aber nicht, und auch das andere mischte sich ein und rief; sie wollte der Gefährtin nur sagen, dass sie den Störenfried nicht einlassen solle, aber sie schrie, als wäre er bereits ins Zimmer eingedrungen. Der Mann, der draußen stand, brüllte, dann versetzte er der Tür einen heftigen Tritt, und schließlich hörten wir, dass er sich entfernte.
    Jetzt fasste mich das Mädchen am Arm und zog mich an sich, so dass ich aufs Bett fiel. Aber ich stieß sie sogleich zurück. Und so, wie sie war, verwundert und bereits ausgekleidet, verließ ich sie und erreichte die Tür. Ich sagte zum Major, ich ginge einen Augenblick hinaus; dann lief ich auf den Platz.
    Vor der Kirche blieb ich stehen; mir schien, als hörte ich Klagelaute. Als ich mich den Baracken näherte, die neben der Eingangstür standen, erkannte ich im Dunkeln ein Durcheinander von Lumpen und Leibern; mehrere Eingeborene lagen auf einem Haufen und jammerten, doch ihre Stimmen klangen matt, als wären sogar sie selbst jener Schreie müde, die kein Echo fanden. Als sie mich näher kommen sahen, wurden einige still und warteten ab. Es waren Bettler, vermute ich. Ich warf ihnen ein paar Geldstücke hin und lief
weiter zum Etappenkommando. Dort wollte ich auf das Morgengrauen und auf den ersten Lastwagen warten, der zum Fluss hinunterfuhr.

4
    Ich hatte noch keinen Blick auf das Flusstal geworfen, das gerade an dieser Stelle tief eingeschnitten war. Das Hochland brach hier ab, und bald würde das erste steil abfallende

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