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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Straßenstück beginnen. Als der Soldat auf das Trittbrett des Lastwagens sprang, der am Kontrollpunkt angehalten hatte, erkannte ich ihn, es war ein Soldat von meiner Kompanie. Dann sah ich weitere zwei Soldaten, dann drei, alle von meiner Kompanie.«Was macht ihr denn hier?», fragte ich den Soldaten, der aufs Trittbrett gesprungen war und lächelnd grüßte.«Was macht ihr hier?», wiederholte ich.
    Er sagte mir, dass das Bataillon vor fünf Tagen hierher verlegt worden sei.
    Mein Blick musste wohl meine Bestürzung verraten, aber der Soldat las darin die plötzliche Freude über diese Nachricht, die er mir als Erster brachte und die eine weitere Etappe in Richtung auf die Küste bedeutete, auch wenn die Küste noch so weit weg war. Dann lachte er über mein
Erstaunen, nahm mir den Tornister aus der Hand und erging sich in Einzelheiten.
    Wir machten uns auf den Weg, ein schmales Sträßchen entlang, und kurz darauf tauchten die ersten Zelte des Lagers auf. Der Soldat fuhr fort, von der Heimkehr zu reden, wie vermutlich alle, da jetzt nichts mehr zu tun war. Er wollte meine Meinung hören; dann fragte er mich, ob ich die Sache von der Baustelle wisse.
    «Was für eine Baustelle?», fragte ich.
    «Die Baustelle unten an der Brücke», und er war froh, mir erzählen zu können, was geschehen war. Es hatte einen Überfall von Banditen gegeben, sie hatten acht Arbeiter verwundet. Vielleicht war gerade aus diesem Grund das Bataillon verlegt worden. Unterdessen hatten die Zaptiè 6 schon das Gebiet durchgekämmt, und jetzt mussten wir hierbleiben und den ganzen Fluss kontrollieren. Jeden Tag war Patrouillendienst, gewiss, aber war das Bataillon jetzt nicht näher bei der Küste? Und war es nicht schön an diesem Ort? Tausendmal besser als das letzte Lager auf den Bergen oben, wo die Läuse in die Zelte hineinflogen, da jetzt die feuchte Jahreszeit begann.«Ja, sicher», sagte ich.
    Auf dem Felshang, der das Tal und die Straße beherrschte, saßen die Soldaten und sprachen von der baldigen Heimkehr. Diese Verlegung hatte
die Hoffnungen auch der Pessimistischsten wieder aufleben lassen; jetzt ermutigten sich alle gegenseitig, und die Rufe gingen von Zelt zu Zelt. Jeder Soldat kannte die Geheimnisse von mindestens einem anderen, und dies war eine wunderbare Gelegenheit, um darauf anzuspielen, die Freuden der anderen zu den eigenen zu machen, an den zukünftigen Verlobungen, den zukünftigen Hochzeiten im Geiste teilzunehmen. Sie würden sich alle einmal wiedersehen in Italien, und die unter dem Zeltdach geschlossene Freundschaft würde die düstersten Erinnerungen in einem rosigen Licht malen, und im Abstand weniger Jahre würde alles heiter und vergnüglich erscheinen, auch die zehntägigen Fußmärsche, auch der Durst und die Müdigkeit, auch die Hitze und die Angst.
    Jetzt musste ich den Offizieren, den Vorgesetten und Freunden gegenübertreten. Ich beschloss, ihnen allen gemeinsam gegenüberzutreten, das war eine ganz primitive Schlauheit. Im Zelt des Majors oder des Hauptmanns würde das Gespräch eine ernste Wendung nehmen, im Zelt der Offiziersmesse hingegen würden noch andere Faktoren mitspielen: das Vergnügen, bei Tisch zu sitzen, das unvermutete Gebrüll der Kameraden bei meinem Auftauchen. Ich brachte ein Paket Zigarren und zwei Flaschen Likör mit. Sie würden mir verzeihen.

    Als ich am Eingang des großen Zeltes erschien, sahen mich alle überrascht an, etwa so wie Polizisten den flüchtigen Verbrecher ansehen, der jahrelang der Festnahme entgangen ist und jetzt kommt, um sich zu stellen, jetzt, da seine Akten ungelöst ins Archiv gewandert sind. Vielleicht erwarteten sie mich gar nicht mehr. Oder durch die Verlegung war ihnen meine Abwesenheit kurz vorgekommen. Oder sie hatten mich wegen Fahnenflucht bereits denunziert. Nein, unmöglich. Aber ich begriff es nicht recht. Warum antworteten diese Leute nicht auf meinen Gruß und blieben verdutzt sitzen? Warum schwiegen sie alle? Wie ein Blitz schoss es mir durch den Kopf:«Man hat sie gefunden. Ich habe eine Spur zurückgelassen. Oder ich bin gesehen worden. Aber von wem?»Ich blieb auf der Schwelle stehen, unfähig, einen Schritt zu tun.
    «Willkommen», sagte der Major barsch, und da begriff ich, dass er nichts wusste, dass niemand etwas wusste. Seine Stimme hatte den Ton des verärgerten Vorgesetzten, das war alles.
    Meine Fröhlichkeit brach hervor. Schon während ich die ersten Rechtfertigungen aufzählte, begann das Gelächter der Freunde. Vom allzu

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