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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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dieser Gegend zu sehen. Aber warum nur hatte ich, als ich vom Lastwagen abstieg, das Bedürfnis empfunden, dem kleinen Jungen das Geldstück zu schenken?
    Nach einer halben Stunde kam ein Lastwagen vorbei, der mich nach A. zurückbrachte. Es war
nun völlig dunkel, und anstatt mich zum Etappenkommando zu begeben, begann ich in den Straßen, die am stillsten waren, umherzustreifen, gleichsam als würde ich die Mauern dieser umschlossenen Gärten bitten, mir die Ruhe wiederzugeben, die ich verloren hatte. Auf einem kleinen Platz sah ich einige Soldaten, die gerade dabei waren, ihr Abendessen auf einem improvisierten Feuer zu kochen; ich ging zu ihnen. Sie luden mich zum Essen ein. Auch sie mussten zum Fluss hinuntergehen, und ich vermutete, dass auch sie vom Anbruch der Nacht aufgehalten worden und außerstande waren, mit der Einsamkeit fertig zu werden, die sie in der Niederung erwarten würde, wo es noch schauriger war, wo nicht mehr Menschen im Hinterhalt lauerten, sondern Dinge, Pflanzen, Schatten.
    Wir aßen schweigend, denn der Gedanke, sich am nächsten Tag wieder auf den Weg zu machen, verbitterte sie. Ich war froher Stimmung, da ich jetzt jede Unruhe überwunden hatte. Es war unvermeidlich, dass die Rede auf die Aussichten für die Heimreise kam; ich sprach mit Leidenschaft darüber, und die Soldaten hörten meine optimistischen Argumente ohne Begeisterung an und widersprachen nicht. Sie wollten und konnten mir nicht widersprechen.
    Jemand war hinter uns stehengeblieben.

    «Herr Oberleutnant.»
    Ich stand auf, und neben der Tür einer erleuchteten Baracke sah ich den Major, elegant wie immer, die Hände auf dem Rücken; seine Stiefel glänzten im Widerschein unseres Feuers. Als ich zu ihm ging, forderte er mich auf einzutreten; einen Augenblick standen wir schweigend da, während er nach Worten für eine alberne Strafpredigt suchte, und ich nach Ausreden. Endlich legte er los. Er müsse eigentlich Meldung erstatten über mich, aber er wisse genau, dass es nichts nütze. Aber er frage sich doch, was ich für einen Geschmack daran fände, mich derart gehenzulassen. Mein Bart sei zu lang, ich verkehrte in den Häusern der Eingeborenen, säße und äße auf dem Boden wie ein Zigeuner. Er frage sich, was für einen Begriff ein Eingeborener sich von mir machen solle.
    Er hatte mit ganz ruhiger Stimme gesprochen; es war alles bloß ein Vorwand, denn er langweilte sich. Immerhin machte ich ihn darauf aufmerksam, dass mein Bart nicht mehr zu lang sei und dass ich mich zu diesen Soldaten auf den Boden gesetzt hätte, weil sie mich zu ihrem Essen eingeladen hatten und es keinen Grund gab, es abzulehnen: Übrigens hatte ich ausgezeichnet gespeist. Was die Häuser der Eingeborenen betraf, so handle es sich um ein Missverständnis.

    Er sah mich überrascht an und wiederholte mehrmals in fragendem Ton das Wort«Missverständnis».«Aber wenn ich Sie doch mit eigenen Augen gesehen habe», schloss er. Ich antwortete, dass wir dorthin gegangen seien, um ein bisschen Musik zu hören.
    «Was für eine Art Musik?», fragte er und lachte über seinen eigenen Scherz; dann nahm er eine Flasche Cognac von einem Gestell. Dies war also seine Baracke. Er hauste zwischen einem Haufen von Kisten der Heeresverpflegung, verschiedenerlei Waren. Seine Eleganz stach dagegen ab, verstärkte allerdings auch den Verdacht, dass ein unmittelbarer Zusammenhang bestand zwischen dem dicken, mit einem Brillanten geschmückten Ring, welchen er an der Rechten trug, und dem muffigen Geruch von Drogeriewaren, den der Fußboden ausströmte; diese Bretter waren es sicherlich gewohnt, das Gewicht eines geschickten Handels zu tragen. Wir tranken. Der Cognac war alt, und die Wärme der Nacht tat das Ihrige, uns zu betäuben. Wir lachten, jetzt waren wir Freunde geworden, und jeder schätzte am anderen die schlechtesten Eigenschaften.
    Das Thema, das er gestreift hatte, interessierte ihn allzu sehr. Er fragte mich, ob ich verheiratet sei, und als ich ihm geantwortet hatte, schien er befriedigt zu sein: Dies war ein Punkt zu seinem
Vorteil. Auf dem Tisch neben seiner Pritsche stand die Fotografie einer außerordentlich unangenehm aussehenden Frau. Ich sah, dass er sie betrachtete, er sagte, es sei seine Frau. Am Ton seiner Stimme hörte ich das Bedauern, dass er diese Ehe geschlossen hatte, übereilt vielleicht, aus Gründen, die er womöglich vergessen hatte oder zumindest ableugnete. Immerhin, die Frau im Bilderrahmen lächelte. Dieses Lächeln ließ ohne

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