Alles hat seine Zeit
Verlegenheit gebracht, entkorkte lachend die Flasche, als fordere er ein Komplizentum von mir, zu dem ich nicht mehr fähig war. Als er mir den Cognac hinhielt und sagte:«Los, trinken wir», lehnte ich ab. Es war also wirklich der Cognac für den Sanitäterkasten.
Er trank einen langen Schluck, um sich ein wenig Mut einzuflößen, auch um mir Mut zu machen, sonst würde er nicht standhalten und könnte ebenso gut schlafen gehen. Er würde den Schatten nicht standhalten, welche die Lampe in die Zimmerecken warf und die ich ganz vergessen hatte.
Man musste trinken. Nach einer Weile fühlte ich mich besser und konnte sogar über die Besorgnisse lächeln, die meine Einbildung mir vorzusetzen beliebte. Alles war sehr viel einfacher; ich lebte weiter, und es war nur menschlich, ja sogar richtig, dass ich weiterhin begehrte, was ich zuvor begehrt hatte. Wenn diese lange Einsamkeit mich verleitete, einem nachgiebigen Körper und zwei Augen, die noch das vermeintliche Licht der vergangenen Jahrhunderte bewahrten, einen außerordentlichen Wert beizumessen, so war nichts Schlimmes daran. Ich suchte das Mädchen, es war in sein Zimmer gegangen und lächelte mir zu.«Nehmen wir die Belehrung von ihr an», sagte ich lachend; und ich wollte gerade zu ihr gehen, als ich von dem Lärm, welchen das andere Paar machte, zurückgehalten wurde.
Der Major versuchte nun dem Mädchen einen Schluck einzutrichtern, aber sie wehrte sich höflich. Da benutzte er die Gelegenheit, um sich auf sie zu werfen, überzeugt, dass ich ihn nicht verurteilen
würde. Aber das Mädchen wehrte sich, leider nicht sehr überzeugend, und diese Szene kam mir unerträglich vor.
Das andere Mädchen lag im Bett und wartete.
Draußen herrschte dunkle Nacht, die Nacht des Verfalls, ohne Diebe und ohne Nachtbummler. Viele Monate zuvor, als wir durch Port Said gekommen waren, hatte ich vom Dampfer aus die letzte europäische Nacht gesehen, die Tingeltangels entlang der Mole, die den Touristen Gelegenheit bieten sollten, die noch in ihrer Tasche gebliebene fremde Währung auszugeben. Und eine Stimme, ähnlich wie diese, die jetzt aus dem Grammophon ertönte, kam von der Mole her. Ich konnte auf diese Entfernung von Bord aus das Knallen der Champagnerkorken hören, die etwas erschrockene Fröhlichkeit der Touristen, die sich zwar amüsieren, es aber doch nicht bis zu Ausschweifungen kommen lassen wollten, zu denen die Nacht und die Ungeduld der Rückkehr sie verleiteten. Sie waren unschlüssig, ob sie dem Araber nachgeben sollten, der ihnen den Besuch in einem gewissen Hause vorschlug. Sollte man da hingehen? Aber ja, Afrika ist die Rumpelkammer für Schweinereien; man geht hin, um das Gewissen von sich abzuschütteln.
Ich näherte mich dem Major und sagte:«Hören Sie auf.»Er war gar nicht erstaunt darüber; dann
fügte ich hinzu:«Afrika ist wohl die Rumpelkammer für Schweinereien, was?»Er brach in Lachen aus, und seine Hände fassten rasch das Mädchen um die Taille, das neben ihm saß. Ich fing an, ihn zu beschimpfen, aber er lachte immer weiter, und seine gesellige Fröhlichkeit verstärkte noch die Unrast, die mich quälte, anstatt mich zu beruhigen. War ich dieser aufgebrachte Mensch? Bewahrte ich nicht Briefe und Fotografien auf, glaubte ich nicht, anders zu sein als alle anderen? Das Gesicht des Majors bot sich mir dar wie ein Ziel, auf das man lange gewartet hat. Gewiss war es das Gesicht irgendeiner beliebigen Person, aber waren nicht in diesem Augenblick die Runzeln, die es zeichneten, wie Worte auf einem alten Grabstein, die nur danach verlangten, dass man sich die Mühe nahm, sie zu übersetzen?«Wenn ich diesen Mann umbrächte», dachte ich,«würde ich damit auch den schlechtesten Teil meiner selbst begraben.»Doch da der Major nun neugierig wurde, sagte ich:«Amüsieren Sie sich nur, guter Mann», und ich war aufrichtig gerührt, als er das Mädchen von neuem umarmte.«Seine Hände wollen nur dem langen Überdruss des Exils eine Ehre erweisen», schloss ich für mich.
Das andere Mädchen lag auf dem Bett und schaute die Zimmerwände an; ich sah ihr Gesicht nicht mehr. Doch ich fühlte, wie abwesend sie
war, versunken in ihre dumpfe Geduld, und ihre Gedanken konnten denen nicht unähnlich sein, die dem Schlaf vorausgehen.
Warum war ich in diesem Haus? Was hatte ich hier nur zu tun? Als ich mit der Zunge die noch immer empfindliche Stelle im Zahnfleisch berührte, erinnerte ich mich an alles, und ich lernte die Traurigkeit des Gefangenen
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