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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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stellte uns mit einer Handbewegung vor, und mein Gegenspieler tippte an seine Mütze. Ich entschied, dass ich mich ihm anvertrauen konnte; er war genau der Typ, der vom Risiko lebt: ein breites, von tiefen Runzeln gezeichnetes Gesicht, ein ungeheurer, gieriger Mund, zwei Augen, die mich unvermittelt durchbohrten, es aber sonst vorzogen, meinen Blick zu meiden. Während ich sprach, blieb er hart und finster. Er hatte eine weiße Schirmmütze mit Anker auf dem Kopf, eine von diesen Mützen, wie sie in Neapel auch die Austernverkäufer tragen und die ihn wie einen Knaben erscheinen ließ. Diese Mütze flößte mir ein zartes Vertrauen ein.
    Der Kapitän lag angelehnt am Kopfende des Bettes; mit der einen Hand berührte er die Knie der Frau, aber ganz leicht, wie der Spieler den Teppich berührt, während er darauf wartet, dass
der Gegner sich entscheide. Er ahnte nicht, welche neuen Hoffnungen, welch neues Vertrauen mir seine Mütze gab. Als ich zu Ende gesprochen hatte, sagte er, er wisse nicht, was er mit dem Geld anfangen solle, wenn er es erst bei der Landung bekäme. Und er schloss:«Wenn ich es hier bekomme, kaufe ich Waren ein.»
    Ich erwiderte, dass ich einverstanden sei. Ich würde ihm das Geld in dem Augenblick übergeben, da ich mich einschiffte. Wir setzten den Tag, die Stunde, den Ort fest. In diesem Moment fühlte ich, dass das Hindernis des Geldes mir keine Sorgen machen dürfe: Ich würde abreisen. Ich hatte zehn Tage Zeit.
    Ich ging zum Klappbett zurück, ich war glücklich. Die Frau hatte nichts weiter gesagt. Jetzt begleitete sie den Mann zur Tür. Ich hörte die Schritte des Seemanns auf der Straße; dann hörte ich, wie er an einem Nachbarhaus anklopfte, und ich beruhigte mich noch mehr. Keine Falle, es war alles klar. Als die Frau den kleinen Raum wieder betrat, setzte sie sich ans Fußende des Klappbetts, die Schultern gegen das Fenster gelehnt, und einen Augenblick lang schwiegen wir. Der Gedanke, mich ihr anvertraut zu haben, erleichterte mich. Ich hatte ins Schwarze getroffen, als ich in dieses Haus zurückgekehrt war.
    Die Frau schwieg. Wenn sie nicht im Zimmer
hin und her ging und nicht sprach, war ihr Gesicht arglos und verschlossen wie das Gesicht einer Frau aus dem Inneren des Landes. Die Schminke legte nur einen kindlichen Schleier auf ihr Gesicht; es erinnerte mich an gewisse junge Mädchen, die sich zum ersten Mal schminken, darauf bedacht, ihre Pubertät zu bestätigen und die ersten Kommentare herauszufordern. Doch ihr Körper war schon wie verbraucht, in vollkommener Übereinstimmung mit ihrem breiten Bett, welches das ganze Zimmer einnahm und das man unmöglich übersehen konnte. Man musste sich entweder daraufsetzen oder in Tuchfühlung mit diesen Wänden stehen bleiben, die ebenfalls die schmutzigen Spuren der Leute bewahrten, die dort vorbeigegangen waren.
    Sie war eine fortschrittliche Eingeborene, sie las Erzählungen; diese Lektüre musste für sie eine Quelle des Stolzes sein, und deshalb legte sie das Heft auf das Nachttischchen und blätterte darin, wobei sie sich vielleicht auch romantische Situationen ausmalte. Dies war eine gute Situation: Sie beschützte einen Mann. Und sie ahnte nicht einmal, welcher absurde Beweggrund mich in dieses Haus getrieben hatte. Welcher absurde, aber unerbittliche Beweggrund mich zu ihr getrieben hatte, die sie wie ihre blonden Heldinnen sprach und sich den Begriff der Zeit und die Vorstellung
romantischer Dinge angeeignet hatte. Diesen Beweggrund kannte selbst ich nicht genau, es war eigentlich wohl eher ein Impuls gewesen als ein Grund, und jetzt fragte ich mich, ob nicht etwa die Hitze mir einen schlechten Streich gespielt habe. Sie schwieg, fühlte sich geehrt, mir ihre Gastfreundschaft anbieten zu können.«Ja», dachte ich,«sie hat vorhin zur Zimmerdecke hinaufgelächelt, weil der Heizer so verdrießlich war, nicht wegen meines Abenteuers, das sie nicht kennt.»
    Sie war eine brave Frau, ein wenig ermattet von der Hitze. Weiter nichts. Jetzt stellte sie sich gewiss vor, was ich wohl getan haben mochte, um in diese ausweglose Situation zu geraten. Sie wusste nichts. Als sie mich fragte, ob ich das Geld schon besäße, erwiderte ich«Ja»und dankte ihr. Hatte ich die Vernunft nicht schon allzu sehr herausgefordert, als ich mich der Frau anvertraute, um die Richtigkeit meiner Phantasien zu kontrollieren? Es zeichnete sich eine neue Gefahr ab, und man musste sie bannen. Am nächsten Tag würde sie anderen Kapitänen und anderen Matrosen

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