Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
Vom Netzwerk:
aufs Neue den Vorschlag machen, aus jener Sparsamkeit heraus, der diesen Frauen angeboren ist, bis ein als Matrose verkleideter Carabiniere käme, um ihr die besten Bedingungen für die Überfahrt anzubieten. Und dann würde sie anbeißen.
    In dem kleinen Zimmer war ein frischer Geruch
nach Kölnischwasser, sicherlich der Geruch der Frau. Sie musste sich waschen, nicht um sich die Zeit zu vertreiben, sondern um gegen die Hitze anzukämpfen.
    Nun also, mit übergroßem Leichtsinn, meinem üblichen übergroßen Leichtsinn, hatte ich mich verraten, in der Meinung, wer weiß welche Verschwörungen über den Haufen zu werfen und wer weiß welche Pläne umzustoßen und auf diese Weise Zeit zu gewinnen. Ich hatte mir eine neue, unsichtbare Falle gestellt mit meinen eigenen Händen. Vielleicht täte ich gut daran, sofort mit der Frau zu reden. Aber wenn ich mit ihr redete, jetzt, da sie mir ihre Sympathie bekundet hatte, würde sie in meinen Besorgnissen nicht so etwas wie Reue spüren oder einen Vorwurf wegen dieser Solidarität, zu der ich sie nicht gedrängt hatte? Schließlich sagte ich zu ihr, dass ich darauf verzichtete abzureisen, ich könne nämlich gratis fahren, wenn ich ein paar Wochen wartete. Da sie keine Antwort gab, fügte ich hinzu, ich sei kein Dieb und auch kein Mörder. Nicht einmal ein Deserteur.«Ich bin Ingenieur», setzte ich hinzu.«Und ich bin müde. Ich habe den Vertrag gebrochen und gehe. Deshalb wollen sie mir die Reise nicht bezahlen.»
    «Warum bist du müde?», fragte sie. Es war die Frage, die ich am wenigsten erwartete.

    «Und du, bist du nicht müde? Gefällt es dir, hier zu sein?»
    Die Frau zuckte die Achseln, gewiss musste es ihr gefallen. Sie war in diese beneidenswerte Lage gekommen, ein Häuschen mit Dusche zu haben; sie hatte Kunden, konnte lesen. Sie las Geschichten, in denen die blonden Mädchen ausgerechnet einen Ingenieur heiraten. Aber sie hatte nie Ingenieure gekannt, außer in Unterhosen.
    Sie zuckte die Achseln. Sie hatte die Hitze und die Langeweile von Massaua in den Knochen.«Was für ein Ingenieur bist du?», fragte sie. Also konnte sie sogar zwischen verschiedenerlei Ingenieuren unterscheiden.
    «Bergbau», entgegnete ich und musste lächeln. Ach ja, dumme Phantasien. Ich würde abreisen, diese Frau hatte nur zur Decke hinaufgelächelt, weil der Heizer beim Anblick des Geldes aufgehorcht hatte. Hatte nicht auch ich gelächelt?
    Die Frau erhob sich und forderte mich auf, in ihr Bett zu gehen, wo wir es bequemer hätten. Ich wollte gerade aufstehen, als ich mich besann; ich sagte, es sei zu heiß und ich sei müde. Darauf ging sie in ihr Zimmer: Meine Weigerung hatte sie vielleicht beleidigt; es lohnte sich wahrhaftig nicht, sich mit einem Ingenieur einzulassen, auch wenn er in Wirklichkeit ein Offizier ist, der sich verstecken muss. Bald danach kam sie mit einer
Flasche Orangensaft zurück und setzte sich auf den Rand des Klappbettes, während ich trank. Arme Mariam. Sie hatte lesen gelernt, sie ging ins Kino, sie wusch sich nicht mehr in den Tümpeln der ausgetrockneten Wildbäche, sie lehnte die Silbermünzen nicht ab, das Dorf war jetzt vergessen. Sie konnte nackt daliegen, nicht etwa aus übergroßer Unschuld, sondern weil sie alle Scham überwunden hatte. Und wenn sie plötzlich ihren Bauch mit dem Morgenrock bedeckte, so gewiss nicht aus Furcht vor meiner Pistole, sondern aus verspäteter Koketterie. Ihr Morgenrock kam aus Neapel, ihr Heft wurde in Mailand gedruckt. Ich aber wollte nicht, dass sie mich berührte.
    Ihr starrer und heiterer Blick war mir nicht lästig; es gelang mir jedoch nicht, mich zu entsinnen, welcher andere Mensch mich so angeschaut hatte. Mariam gewiss nicht. Wer sonst? Sie rührte sich nicht und saß ganz ruhig da, ihr Gesicht wollte nichts ausdrücken; ihre Augen aber, die ich erst jetzt deutlich sah, waren nicht mehr die ihren. Und der unmerkliche Hauch (vielleicht hatte ich beim Trinken meine Hand an den Mund geführt, und die Jodtinktur vermischte sich mit dem Schweiß, oder vielleicht hatte jemand Blumen in den Hof geworfen), jener süßliche Gestank erfüllte schon den kleinen Raum. Ich wunderte mich, dass sie ihn nicht wahrnahm. Reglos
und schweigend wandte sie ihre Augen nicht von mir ab.«Johannes», dachte ich, und von dem Augenblick an wusste ich, warum ich in dieses Haus gekommen war. Die Verschwörung ging weiter, und ich würde sie nicht vereiteln. Ich warf mit aller Kraft die Flasche aus dem Fenster, und die Frau wich zur Seite;

Weitere Kostenlose Bücher