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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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sie hatte geglaubt, ich wolle sie treffen.«Entschuldige», sagte ich. Dann fügte ich hinzu:«Hat jemand Blumen in den Hof geworfen? »
    Sie beugte sich aus dem Fenster und sagte:«Nein.»Jetzt staute sich der fast unmerkliche Geruch rings um das Klappbett: Die streunenden Hunde waren wohl gewaschen und die Blumen noch nicht verwelkt, doch es bestand der Verdacht, dass sie plötzlich welken würden.«Vielleicht werde ich wahnsinnig», sagte ich leise. Aber die Frau hörte es nicht; sie war wieder in ihr Zimmer gegangen und zog gerade eine Schublade heraus. Gleich darauf kam sie mit einer Keksschachtel zurück, in der ihre Kostbarkeiten lagen - das ärztliche Untersuchungsbüchlein, ein paar Schmucksachen aus Silber, kleine Ketten, Armbänder, Fotografien. Sie zeigte mir ihr Sparheft, es waren achttausend Lire darauf.
    «Es genügt nicht», sagte ich (unnütz, jetzt noch etwas vortäuschen zu wollen), und selbst wenn es genügte, wüsste ich nicht, was ich damit anfangen
sollte.«Morgen gehe ich zur Baustelle zurück. »
    «Warum diese Komödie?», sagten ihre Augen. Doch ich musste darauf bestehen, ihr begreiflich machen, es gebe nichts anderes oder es sei vorteilhaft für mich, dass es nichts anderes gab. Ich fügte hinzu, dass ich nach ein paar Tagen wiederkommen würde. Sie schwieg. Dann zog sie den Morgenrock aus, ging hinter den Wandschirm und drehte den Hahn der Dusche auf. Obschon ich sie nicht sah, spürte ich, dass sie müde und reglos unter dem Wasserstrahl stand.«Es fehlt nur noch ein Rabe», dachte ich,«und wir wären vollzählig»; aber ich brachte es nicht fertig, dabei zu lächeln.
    Als sie hinter dem Wandschirm hervorkam, blieb sie beim Fenster stehen, um sich an der warmen Nachtluft zu trocknen, und dann puderte sie sich mit einer dicken Quaste.«Willst du dich nicht waschen?», fragte sie.
    Ich erwiderte:«Nein»und presste die Kiefer zusammen, um nicht zu brüllen, sie solle weggehen, in ihr graues Bett, mir aus den Augen. Ich zitterte beim Gedanken, sie könnte sich neben mich setzen und den Atem spüren, der unausweichlich immer stärker nach Verwesung stank. Ich dankte ihr für alles, auch für das, was sie nicht ahnen konnte, aber am nächsten Tag würde ich
aufbrechen zur Hochebene.«Ich kehre zur Baustelle zurück», schloss ich trocken,«ich reise nicht mehr ab, ich nehme die Arbeit wieder auf.»Und ich wollte noch hinzufügen:«Seid ihr jetzt zufrieden? »
    Die Frau kam wieder, um sich auf den Bettrand zu setzen, und berührte meine Stirn.«Ich bin nicht krank», sagte ich und schob sie beiseite. Warum hielt sie ihre Hand an die Nase? Ich erhob mich mit einem Ruck und lief zum Fenster, aber im Hof lagen keine Blumen und auch keine Abfälle. Kein Wunder, wir waren in der Nähe des Hafens, gewiss strömte das stehende Wasser diesen Gestank aus, der jetzt das Zimmer erfüllte und sich wie ein Schleier auf alle Dinge legte.«Das stehende Wasser, sicherlich», dachte ich.«Der Kadaver einer Maus genügt bei dieser Hitze.»Ich stand am Fenster, als die Frau zu mir kam und eine Gebärde machte, als wolle sie ihre Hände um meinen Nacken legen.«Gehen wir», sagte sie. Ich wehrte ab.«Rühr mich nicht an!»
    Sie wich zurück, als hätte ich sie geohrfeigt; sie wurde fahl im Gesicht, vielleicht dachte sie, dass es sich nicht gelohnt habe, mich zu beherbergen und mir ihre wahrhaft im Schweiß verdienten Ersparnisse anzubieten. Konnte ich ihr nicht verzeihen, dass sie anders war als die Frauen, die ihre Lektüre bevölkerten?«Warum?», fragte sie. Als
sie begriff, dass ich nicht darüber reden wollte, brach sie in Lachen aus und streckte noch einmal ihre Arme nach meinem Nacken aus. Ich wies sie ab. Ich dachte, dass jetzt mir die Rolle Mariams zufiele. Wenn ich nachgeben würde? War nicht schon alles vorausgesehen bis in die kleinsten Einzelheiten? Wenn ich sie anstecken würde, weil es doch nutzlos war, auf das zu verzichten, was mir angeboten wurde, ehe es zu spät war? Oder vielleicht erwartete die Verschwörung wenigstens eine gute Tat von mir? Nun gut, ich schob die Frau beiseite, und sie kehrte in ihr Zimmer zurück, auf jenes mit grauen Flecken beschmutzte Bett, das schaukelte wie ein Floß. Mit rauher Stimme brummte sie ein paar Worte. Sie blätterte rasch in ihrem Heft, ohne darin zu lesen, während sie immerfort brummte. Dann löschte sie die Lampe.
    Ich hörte ihren Atem nicht, sie schlief nicht. Ihre im Dunkeln geöffneten Augen beunruhigten mich.«Wie heißt du?», fragte ich sie. Sie

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