Alles hat seine Zeit
versprach, dass er es versuchen wolle. Ja, er sagte sogar, ich solle mich um elf Uhr am Anfang der Mole einfinden. Sein Gesicht war ruhig und heiter, und jetzt redete er, als sei er solche Unternehmungen gewohnt. Während ich mir den Schweiß abwischte, sah ich (oder täuschte ich mich?), dass die Frau zur Zimmerdecke hinauflächelte, in irgendwelche eigene Gedanken versunken. Ich verabschiedete mich von ihr, und plötzlich, als schämte sie sich, bedeckte sie ihren Bauch mit dem Morgenrock.
Ich kaufte Vorräte für acht Tage ein, und um zehn Uhr war ich auf der Mole.
Ich sah, wie eine Abteilung an Bord ging, wie die Männer fröhlich hinaufstiegen. Es waren noch andere Leute da, die auf der Mole auf und ab spazierten; dies war der einzige Ort, wo eine leichte Brise wehte. Zwei Arbeiter hatten ihre Klappbetten mitgebracht und sprachen ruhig miteinander.
Als um zwölf Uhr der Heizer kam und zu mir sagte:«Unmöglich», sah ich ihn so bestürzt an,
dass er sich zu entschuldigen begann. Er wolle nochmals hingehen und mit seinen Freunden sprechen. Ich hörte ihn an, und mir kam der Soldat wieder in den Sinn, den ich auf seinem umgekippten Lastwagen allein gelassen hatte, beim ersten steilen Straßenstück zum Fluss hinunter: Der Heizer sprach so, wie ich gesprochen hatte; er wusste, dass er nicht zurückkommen würde. Darauf gab ich ihm einen Brief für«sie», den er in Italien einwerfen sollte, einen mit unendlicher Sorgfalt geschriebenen Brief, den ich fast nicht berührt hatte. Ich hatte ihr geschrieben, sie solle sich keine Sorgen machen; was auch immer mir zustoßen könne, es würde mich niemals daran hindern, zu ihr zurückzukehren. Der Heizer nahm den Brief und versprach, dass er versuchen werde, die Freunde zu überreden: Er ließ mir also noch Hoffnung.
Um ein Uhr löste sich der Dampfer lautlos von der Mole, er glitt an mir vorüber, und noch einmal las ich seinen in weißen Buchstaben frisch gemalten Namen. Der Dampfer war jetzt riesengroß, und er war so lautlos, dass es einem vorkam, als sei er leer; die Soldaten auf dem Brückendeck winkten mit den Armen zu den wenigen Menschen auf der Mole herüber, aber sie riefen nicht. Es war ein gedämpfter Abschied, gleichsam verhüllt von der Dunkelheit, der Hitze und dem
Neid derer, die zurückblieben. Durch die Bullaugen sah ich geschäftige, vergnügte Leute, die sich auf die erste Nacht im Roten Meer vorbereiteten. Ein junger Mann streckte den Kopf heraus und sagte leise:«Ciao, Afrika.»
Sobald der Dampfer im offenen Meer war, grüßte er mit drei langen Sirenenpfiffen. Die beiden Arbeiter waren eingeschlafen und wachten nun, vor Heimweh fluchend, auf. Dann und wann drehten sie sich um und betrachteten den dunklen Fleck des Dampfers, der sich allmählich verlor.
Jetzt blieb mir nichts weiter übrig, als das Büchlein zu lesen. Ich schlug es mit Widerwillen auf, und die erste Abbildung zeigte meine Hand.«Ich wusste es», sagte ich. Entschlossen, mich nicht von der Mutlosigkeit überwältigen zu lassen, steckte ich das Buch wieder in die Tasche. Und ich kehrte zur Frau zurück.
2
Ich fand sie auf jenem schwankenden Bett liegend, auf dem Sandalen und Schuhe gleichförmig graue Spuren hinterlassen hatten. Sie las ein Groschenheft, das sie auf den Boden warf, als sie mich eintreten sah; doch sie schien nicht überrascht zu sein, und vielleicht wusste sie schon seit langem,
dass ich zurückkommen würde. Ich erzählte ihr von meinem Missgeschick und stieß die Worte immer abgerissener und ungestümer hervor. Zuletzt warf ich den Tornister in eine Ecke des Zimmers und fragte sie, ob ich bleiben dürfe. Ich wartete auf ihre Antwort und betrachtete mittlerweile das Zimmer, das mir unendlich schmutzig vorkam: Die Männer hatten überall ihre Spuren hinterlassen. Fotografien waren in den Spiegel und an den Kleiderständer gesteckt, ich sah einen braunleinenen Waffenrock, der vielleicht von einem Betrunkenen vergessen worden war. Ich schnupperte; aber es war nur ein guter Duft nach Kölnischwasser zu riechen.
Ich hätte im Freien schlafen können, auf der Mole, stattdessen war ich in dieses Haus gekommen. Warum? Um sie um ihren Schutz zu bitten oder um ihren Schutz herauszufordern? Ich wusste es noch nicht.
«Also», sagte ich,«kann ich bleiben?»
Sie war lange unschlüssig; vielleicht erwartete sie Kunden, oder aber mein Tun verwirrte sie. Endlich sagte sie, dass ich bleiben könne. Ich solle mich in den Duschraum begeben. Dort stand ein altes wackliges
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