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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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einzigen Prellstein - seiner Katastrophe nicht entgehen. Er würde mit seinem türkisblauen Lastwagen in diese Bäume aus Pappmaché stürzen. Kein Autofahrer, der da vorbeikam, würde sich fragen, ob es die Mühe lohne, nachzuschauen: Das Fahrzeug
war leer, da gab es nicht einmal eine Ladung, die man an sich nehmen konnte. Es würde hinunterstürzen wie ein Spielzeugauto, das über den Rand des Tisches hinausfährt. Selbst wenn jemand hinuntersteigen würde (doch das hieße allzu sehr auf die Neugier derer zählen, die das Tal durchqueren), würde er nichts als eine Tasche voll Geld finden und eine Schraube zu wenig; und einen Major ohne Schussverletzungen. Die Sache würde im Archiv enden, mit einem Telegramm an die Ehefrau.
    Ich hatte mich beim Ankleiden aufgehalten, um den anderen Lastwagen genügend Zeit zu geben, uns vorauszufahren. Kein Risiko also, dass irgendein Wagen uns folgen könnte (die Straße endete nämlich in D.), und auch nicht, dass uns irgendeiner entgegenkommen könnte: Der Verkehr war so geregelt, dass die Autos sich nicht begegneten, eben weil die Fahrbahn so schmal und ein Kreuzen nicht möglich war. Wir fuhren los, und ich hatte die Kraft, bis zu dem Augenblick, da ich ausstieg, zu reden: Dies kostete mich die allergrößte Mühe, zumal der Major mir nicht bei guter Laune zu sein schien und meine Witze ihn kaum zum Lächeln brachten. Als ich ihm sagte, er solle anhalten, bremste er ruckartig und schien befriedigt zu sein, wie gut die Bremsen funktionierten. Ob er etwas argwöhnte? Sofort stieg ich
aus und ließ die Streichholzschachtel zu Boden fallen, neben das Rad. Während ich sie mit einem gelangweilten Seufzer aufhob, nahm ich die Schraubenmutter ab und steckte sie in die Tasche.«Auf Wiedersehen, Major», sagte ich.
    Er gab kaum eine Antwort. Schöpfte er Verdacht? Als ich den Tornister genommen hatte, schloss er die Wagentür: Dies schien das Zeichen, dass mein Plan gelang. Das unvermittelte Geräusch flößte mir Mut ein, doch nicht für lange. Es war ein Geräusch, wie wenn man einen Sargdeckel zuklappt, und ich war beinahe im Begriff, aufs Trittbrett zu springen und alles zu gestehen. Aber ich sah«ihr»weinendes Gesicht wieder vor mir und hielt mich zurück. Es war schon geschehen.«Auf Wiedersehen, Major», sagte ich. Dann fügte ich hinzu:«Und danke für alles», aber ohne einen Schatten von Ironie, ich wollte ihm wirklich danken; und sein rötliches Gesicht, das jetzt ernst war, schien mir plötzlich gealtert, erloschen. Aber er war so ruhig, dass ich sogleich die flüchtige Vision verscheuchte, die dieses Gesicht in mir erweckte.
    Ich machte mich auf den Weg. Meine Beine bewegten sich mit einer Anmaßung, die mir nicht neu war, mit der gleichen euphorischen Anmaßung wie damals, als ich mich heil am Straßenrand gefunden hatte und wie ein Sieger die Landschaft
des Tals und den umgekippten Lastwagen in seiner Wolke von rosa Staub betrachtete.
    Ich hatte erst wenige Schritte getan, als der Major mich zurückrief. Er war bleich.«Kommen Sie her», sagte er. Ich war versucht wegzulaufen.«Er würde hinter mir herrennen», dachte ich,«und dabei sollte doch alles in Ruhe vor sich gehen.»Auch er war ausgestiegen, er hatte die Tasche in der Hand und erwartete mich, seinen Zorn bezähmend; sein Gesicht war weiß geworden.«Es fehlt Geld hier drin», sagte er.«Wissen Sie etwas davon?»
    Ich zuckte erstaunt die Achseln; doch ich war nicht imstande, irgendetwas zu sagen; seine Blässe nahm mir allen Mut, und von neuem gewahrte ich die Vision von vorher, lästig und in weiter Ferne. Diese Szene hatte ich nicht vorausgesehen. Warum ergab der Verurteilte sich nicht?
    «Raus mit dem Geld!», sagte er barsch. Da begriff ich, dass, wenn ich nachgeben würde, alles zu Ende wäre, und ich wurde frech und verächtlich; ich sagte, dass ich nichts wisse von seinem Geld. Dann, als er eine Handbewegung machte, als wolle er mir den Tornister wegreißen, fügte ich rasch hinzu:«Aber ja, ich hab es genommen, und ich behalte es.»
    Das war ein Treffer, denn er stand verblüfft da, unfähig zu antworten, Zorn und Überraschung
erstickten ihn. Nun beharrte ich darauf: Ich brauchte dieses Geld, ich würde es ihm in Italien wiedergeben. Jetzt brauchte ich es. Wenn er mich anzeige, würde ich ihn ebenfalls anzeigen.«Und ersparen Sie sich’s, die Pistole zu ziehen», fügte ich hinzu,«denn sie ist entladen.»
    Vielleicht sollte nur der Tod, der ihm ja bald bevorstand, eine ähnliche Blässe auf seinen

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