Alles ist erleuchtet
sein.
Warum sagst du das?
Weil du so viel Glück hast. Echtes und dauerhaftes Glück ist für dich zum Greifen nah.
Hör auf, sagte er. Das ist nicht fair.
Ich würde sie gern kennen lernen.
Nein, das würdest du nicht.
Würde ich doch. Ich würde Zoscha sehr gern kennen lernen und ihr sagen, wie glücklich sie sein wird. Was für ein glückliches Mädchen. Sie muss sehr schön sein.
Ich weiß es nicht.
Aber du hast sie doch schon mal gesehen, oder?
Ja.
Dann weißt du ja, ob sie schön ist. Ist sie schön?
Ich glaube schon.
Schöner als ich?
Hör auf.
Ich würde gern zur Hochzeit kommen, um sie mit eigenen Augen zu sehen. Nein, nicht zur Trauung natürlich. Ein Zigeunermädchen darf die Synagoge nicht betreten. Aber zur Hochzeitsfeier. Du lädst mich doch ein?
Du weißt, dass das nicht geht, sagte er und wendete sich ab.
Ich weiß, dass es nicht geht, sagte sie und wusste, dass sie ein wenig zu weit gegangen und ein wenig zu grausam gewesen war.
Es geht nicht.
Ich habe doch gesagt: Ich weiß es.
Aber du musst mir glauben.
Ich glaube dir.
Sie schliefen miteinander, zum letzten Mal und ohne zu wissen, dass die folgenden sieben Monate vergehen würden, ohne dass sie ein einziges Wort miteinander sprachen. Er sah sie oft, und sie sah ihn ebenfalls - sie hatten sich daran gewohnt, dieselben Orte aufzusuchen, auf denselben Wegen zu gehen, im Schatten derselben Bäume einzuschlafen - , doch sie nahnien keine Notiz voneinander. Beide wünschten sich sehr, sie könnten sieben Jahre zurückgehen, zu ihrer ersten Begegnung im Theater, sie könnten noch einmal von vorn beginnen, doch diesmal ohne einander zu bemerken, ohne miteinander zu sprechen, ohne das Theater zu verlassen, ohne dass sie ihn an seinem leblosen Arm durch ein Labyrinth von schmutzigen Gassen führte, vorbei an den Süßigkeitenbuden beim alten Friedhof, an der jüdisch-menschlichen Grenze entlang und so weiter und so weiter, in die Finsternis. Sieben Monate lang ignorierten sie einander auf dem Markt, an der Sonnenuhr und am Brunnen der Hingestreckten Meerjungfrau, und sie waren überzeugt, dass sie einander immer und überall ignorieren konnten, überzeugt, dass sie füreinander vollkommene Fremde sein könnten, doch sie wurden widerlegt, als er eines Abends von der Arbeit heimkam und sah, wie sie sein Haus verließ.
Was machst du hier?, fragte er sie und war weniger neugierig, warum sie eigentlich hier war, als vielmehr ängstlich, sie könnte ihre Beziehung verraten haben - seinem Vater, der ihn gewiss schlagen würde, oder seiner Mutter, die sehr enttäuscht sein würde.
Du hast deine Bücher nach der Farbe der Buchrücken geordnet, sagte sie. Wie idiotisch.
Ihm fiel ein, dass seine Mutter, wie jeden Dienstagnachmittag um diese Zeit, in Lutsk war. Sein Vater wusch sich draußen. Safran ging in sein Zimmer, um sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Sein Tagebuch lag noch immer unter der Matratze. Seine Bücher waren säuberlich nach Farben geordnet. (Er nahm eines heraus, um etwas in der Hand zu halten.) Das Bild seiner Mutter stand im selben Winkel wie sonst auf dem Nachttisch. Es gab keinen Hinweis darauf, dass das Zigeunermädchen etwas angerührt hatte. Er durchsuchte die Küche, das Arbeitszimmer und selbst das Badezimmer und die Toilette nach irgendwelchen Spuren, die sie hinterlassen haben könnte. Nichts. Kein Haar. Keine Fingerabdrücke auf dem Spiegel. Kein Zettel. Alles war in Ordnung.
Er ging ins Schlafzimmer seiner Eltern. Die Kissen waren makellose Rechtecke. Die Decken waren glatt wie Wasser und sorgfältig untergeschlagen. Das Zimmer wirkte, als wäre es seit Jahren nicht benutzt worden, seit einem Todesfall vielleicht, als hätte man es, in einer Zeitkapsel bewahrt, so lassen wollen, wie es immer gewesen war. Er wusste nicht, wie oft sie schon hier gewesen war, und er konnte sie nicht fragen, denn er sprach nicht mehr mit ihr. Seinen Vater konnte er ebenfalls nicht fragen, denn dann hätte er ihm alles beichten müssen, und seine Mutter konnte er nicht fragen, denn wenn sie von dieser Beziehung erführe, würde dieses Wissen sie umbringen, und das wiederum würde ihn umbringen, und er war, ganz gleich, wie unerträglich sein Leben geworden war, noch nicht bereit, es zu beenden.
Er rannte zum Haus von Lista E, der einzigen Geliebten, bei der er sich, nachdem er mit ihr ins Bett gegangen war, gewaschen hatte. Lass mich rein, sagte er und legte den Kopf an die Tür. Ich bin's, Safran. Lass mich
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