Alles Ist Ewig
sich zu ihr umdrehte – die gequälte Grimasse, die sich jedoch hastig in ein weiteres strahlendes Lächeln verwandelte.
»Ich bin einmal einen ganzen Winter lang mit Napoleons Truppen durch Russland gezogen. Die französischen Soldaten dort haben mir gesagt, dass Frieren nicht wehtut. Der Schmerz kommt erst, wenn man beginnt aufzutauen.« Adam deutete auf die Distanz zwischen ihnen. »Derlei Abstand zu halten, macht den Schmerz schlimmer. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als so viel von deiner Wärme in mir aufzunehmen, wie ich kann. Ich könnte meiner Qual ein Ende bereiten, indem ich dich berühre. Aber das darf ich nicht – und will ich nicht.« Sein Blick fiel auf den Bürgersteig auf der anderen Seite des Zauns. Eine obdachlose Frau starrte ihn unverwandt an. »Entschuldige mich bitte einen Moment.«
Adam verließ den Kiesweg und stapfte über ein paar kahle Blumenbeete auf die Frau am Zaun zu. Haven hörte seine ärgerlich erhobene Stimme, als er mit ihr redete. Nach einer Weile hielt ein Auto am Straßenrand. Zwei Männer in Anzügen stiegen aus, führten die Frau zum Wagen und bugsierten sie auf den Rücksitz. Als Adam sich wieder zu Haven gesellte, war seine Miene finster.
»Wer war das denn?«, wollte Haven wissen. Beinahe wäre sie schon wieder unachtsam geworden. Sie hatte um ein Haar vergessen, wer Adam wirklich war. »Was hast du mit der armen Frau gemacht?«
»›Armen Frau‹?« Adams Lachen klang scharf und verbittert. »Diese ›arme Frau‹ ist die frühere Präsidentin der Ouroboros-Gesellschaft. Dieselbe Frau, die schon zweimal versucht hat, dich umzubringen, und einmal Erfolg damit hatte.«
»Padma Singh?«, keuchte Haven. »Aber ich dachte …«
»Du dachtest, ich hätte sie töten lassen.«
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie verschwunden ist. Und du hast mir schließlich selbst gesagt, dass du sie für ihre Taten würdest büßen lassen.«
»Glaub mir, Padma büßt genug für ihre Sünden«, versicherte Adam ihr. »Aber ich habe ihr keinen körperlichen Schaden zugefügt. Ich habe sie lediglich aus der Ouroboros-Gesellschaft verbannt. Sie kommt immer noch alle paar Tage vorbei und versucht, mich um Vergebung zu bitten. Eben hat sie behauptet, Informationen zu haben, die mich interessieren könnten. Die Frau ist eine Plage, die ich mir nur zu gern vom Hals schaffen würde, und ich könnte sie mit eigenen Händen erwürgen für das, was sie dir angetan hat. Aber ich weiß, dass du nicht damit einverstanden wärst, wenn sie deinetwegen sterben müsste. Oder irre ich mich? Wäre es dir lieber, wenn sie tot ist?«
»Nein! Natürlich nicht!«, rief Haven.
»Das dachte ich mir. Darum belasse ich es dabei«, entgegnete Adam. Er schien regelrecht stolz darauf zu sein. »Ich bin ein ziemlich altes Wesen und habe so meine Gewohnheiten, die sich nur schwer abschütteln lassen. Ich lerne langsam, aber ich lerne .« Plötzlich deutete er zum Himmel hinauf. »Sieh mal! Da ist sie!«
»Wer?«, fragte Haven.
»Jeremiahs Dreizehenmöwe.«
Eine kleine Möwe saß zitternd und aufgeplustert auf einem Ast, als versuchte sie, mit dem bewölkten Himmel zu verschmelzen. Sie muss von ihrem Kurs abgekommen sein, dachte Haven. Genau wie sie selbst gehörte das Tier an einen warmen, grünen Ort. Nicht in diese kalte Winterödnis. Sie fragte sich, ob es einer von ihnen jemals schaffen würde, den Weg zurück nach Hause zu finden.
KAPITEL 18
H avens Hotelzimmer lag an einer Ecke des Gebäudes. Durch die großen Fenster konnte sie die Flüsse zu beiden Seiten Manhattans sehen. Kleine Eisschollen trieben auf der Oberfläche des East River, und der Hudson war eine fast durchgehende, eis- und schneebedeckte Fläche. In den dunklen Straßenschluchten konnte man leicht vergessen, dass die beiden Flüsse die Insel umgaben wie ein Burggraben, der die Bewohner am Verlassen des Stadtteils hinderte – oder den Rest der Welt am Betreten. Am äußersten Zipfel von Manhattan, wo sich die beiden Flüsse vereinten, ragte eine Gruppe von Wolkenkratzern wie Wachposten über den Booten auf, die in den Hafen segelten. Haven fühlte sich wie eine Spionin in einer feindlichen Festung – eine Saboteurin, die den Gegner auf seinem eigenen Terrain vernichten sollte. Es gab keinen Ort, an den sie fliehen könnte, wenn ihr Plan missglückte.
Vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit sie Iain zum letzten Mal gesehen hatte. So lange waren sie seit über einem Jahr nicht mehr voneinander getrennt gewesen. Haven
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