Alles Ist Ewig
gute fünfzig Mal anhörte, in der Hoffnung, irgendwann doch noch ihre Bedeutung zu verstehen. Als ihr Kopf schließlich schmerzhaft zu pochen begann, schloss sie die Augen und spürte, wie sich Müdigkeit in ihr ausbreitete. Um kurz nach acht verließen die Polizisten endlich ihr Zimmer. Haven war schon auf der Couch eingedöst, da verabschiedete sich auch Adam von ihr. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass er ihr versprach, sofort anzurufen, sobald er etwas Neues erfuhr. In ihrem benebelten Zustand hätte Haven ihn beinahe gebeten, bei ihr zu bleiben.
Im Traum befand Haven sich wieder in Snope City. Sie wusste genau, welcher Tag das gewesen war. Sie erinnerte sich an die Kleidung, die sie trug, und an das Essen auf ihrem Cafeteria-Tablett. Es war der Tag, der Haven noch heute einen verschämten Schauder über den Rücken jagte.
Sie war allein. Beau war seit zwei Wochen nicht mehr in der Schule gewesen, und Haven verbrachte jeden Tag sieben Stunden schweigend. Niemand redete mit ihr, und auch sie kümmerte sich nicht um die anderen. Nach einer Weile machte sie sich beinahe Sorgen, ihre Stimme komplett zu verlieren, wenn Beau nicht bald wieder zurückkäme. Aber sie konnte sich nicht beschweren. Sie musste einfach warten und durfte Beau auf keinen Fall drängen. Haven wusste, wie es war, einen Elternteil zu verlieren, aber ihr Vater war wenigstens schnell gestorben. Er hatte nicht so lange gelitten wie Beaus Mutter.
Auf den Tisch hinter ihr wurden ein paar Tabletts geknallt. Sie hörte drei Jungen tratschen, wie sie es nur von Mädchen kannte. Es war, als wäre sie gar nicht da. Vielleicht, dachte sie, bin ich das ja auch gar nicht.
»Ich hab Decker heute Morgen gar nicht gesehen. Sieht aus, als würde er heute schon wieder das Training verpassen«, bemerkte Dewey Jones.
»Wenn er das noch ein paarmal macht, ernennt der Coach bald jemand anderen zum Quarterback«, sagte Justin Snead.
»Alter, das würde Deckers Daddy echt den Rest geben.«
»Ja, seine Mama hat er ja schon ins Grab gebracht«, erwiderte Bradley Sutton. »Ist direkt krank geworden, nachdem sie rausgefunden hat, dass ihr Sohn vom anderen Ufer ist. Mein Onkel meint, das hat ihr das Herz gebrochen.«
Nie zuvor hatte Haven eine solche Wut verspürt. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und den Tisch der Jungen gegen die Wand geschleudert; Bradley mit den Zähnen die Kehle herausgerissen; Dewey Jones zusammengetreten, bis er nur noch ein lebloser Haufen war. Sie hätte Beau verteidigen müssen, um jeden Preis. Aber sie tat es nicht. Sie nahm bloß ihr Tablett und ging mit tränenverschleiertem Blick davon. Es war eine Entscheidung, die sie für den Rest ihres Lebens bereuen sollte.
KAPITEL 23
O h mein Gott, bist du das?«, quietschte die junge Frau, die sich gerade für ein Kleid vermessen ließ. Sie war ein aufgehendes Sternchen am Hollywoodhimmel, und obwohl ihr Gesicht auf Kinoplakaten in der ganzen Stadt zu sehen war, fiel Haven ihr Name nicht ein. Sie war in aller Frühe vor Havens Zimmertür aufgetaucht, mit einer Nachricht von Alex Harbridge auf dem Handy und einem Scheckbuch in der Hand. Haven hatte sich aus dem Bett gequält, sich einen Bademantel übergeworfen und nach ihrem Maßband gegriffen. Die Ereignisse des vergangenen Tages purzelten noch immer in ihrem Kopf durcheinander. Beaus seltsamer Anruf, Adams Fürsorglichkeit. Haven konnte nicht aufhören, jede Kleinigkeit zu analysieren, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Um irgendetwas zu finden, woran sie sich klammern konnte. Aber nichts ergab mehr einen Sinn.
Schon als Kind hatte sie festgestellt, dass sie am besten nachdenken konnte, wenn sie eine Nadel in der Hand hielt. Haven war froh über ihre neue Kundin gewesen, da sie gehofft hatte, ein bisschen Arbeit würde ihr helfen, ihre Gedanken zu ordnen. Aber das Mädchen hörte gar nicht mehr auf zu plappern. Als Haven mit dem Maßnehmen fertig war, hatte sie alles über die Haarverlängerungen der jungen Frau, ihre Arbeitsgewohnheiten und die berühmten Schauspieler erfahren, die sie nicht von der Bettkannte stoßen würde.
» Wer soll ich sein?«
Das Mädchen bückte sich und hielt Haven ihr Handy unter die Nase. »Das hier!«
Auf dem Display waren zwei Fotos zu sehen, die auf einer Klatschseite gepostet worden waren. Das erste zeigte Haven, Alex und Calum, wie sie am Tag zuvor das Restaurant verließen. Das zweite Bild war in Rom aufgenommen worden, fast zwei Jahre alt und das einzige Foto, das jemals von
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