Alles ist grün
Westen gingen, keine gesunde Lebensweise; trotzdem athletisch gebaut, ebenmäßig, stiernackig, dunkel. Gesund. Stark. (In jenen Zeiten war so etwas noch aussagekräftig, denn noch hatte die von Fitnesscentern sorgfältig manipulierte Anatomie die altehrwürdige arische Ordnung nicht durcheinandergebracht und zugelassen, dass die, die von Natur aus blass und schwach sein sollten, dunkel und stark erschienen.) Nicht unwiderstehlich gut aussehend, einfach nur diese abscheuliche Ausstrahlung ganz normaler Gesundheit – eine in Baltimore seltene und daher wertvolle Ware. Wir vom Schreibkurs – Scheiße, sogar die Typen drüben an der E. C. T. Divinity – konnten nur lieben, was für uns einen Wert hatte.
Außerdem war D. L. verschroben, und zwar auffällig verschroben, selbst in einem Milieu – einem universitären Schreibprogramm –, wo Neurosen Sauerstoff waren und kunterbunte Macken kultiviert und wie Juwelen zur Schau gestellt wurden. D. L. hatte immer Tarotkarten dabei, legte sie aus (im Seminar), verließ ihr Loft nur nach Billigung durch ihr Medium, trug täglich die obgenannten lindgrünen Kunstfaserstoffe – eine einsame Zwiebel in einem Petunienbeet sorgfältig arrangierter legerer Baumwollröcke, Batiksachen, schlabberiger pastellfarbener Post-Bermudas, Clogs, Sandalen, Turnschuhe und Chirurgenkittel.
Außerdem schien sie gierig und eigennützig, aber bei Weitem nicht naiv genug, um mit diesem Anschein durchzukommen. Sie vergötterte Professor Ambrose mit einer Leidenschaft, deren einnehmende und eigennützige Züge Ambroseaber wohl schon von der allerersten Sitzung an abtörnten, in die sie ein sichtlich zerlesenes Exemplar von Ambrose im Juxhaus mitbrachte, das er ihr signieren sollte – an der East Chesapeake Trade ein absolutes Tabu. Damit war sie nach unseren interpretativen Kriterien vom ersten Tag an eine Gleisnerin, eine Arschkriecherin.
Außerdem bezeichnete sie sich auf Schritt und Tritt als Postmodernistin. Egal, wo man ist, das tut man einfach nicht. Das gilt per conventionem als aufgeblasen und bescheuert. Sie machte eine große Sache daraus, sich über Konventionen hinwegzusetzen, aber ihr Antikonventionalismus hatte wenig Liebenswertes; wir hatten echt den Eindruck, dass sie ihre Vernarrtheit in die eigene selbst gebastelte Pfiffigkeit gar nicht genug reflektierte, um Haltung von Pose und Begehren von Flehen trennen zu können. Sie war kein liebenswerter Freigeist: Sie machte, was sie wollte, aber es war weder geistreich noch frei.
Wir konnten uns alle an den Anfang der ersten Erzählung erinnern, die sie für die erste Sitzung einreichte: »Adjektivische Substantive verbten adverbial vorbei.« Fällt einem doch nix mehr zu ein. Professor Ambrose fasste es gut – und nicht ohne Feingefühl – zusammen, als er im Workshop erklärte, Ms. Eberhardts Erzählungen »sagten ihm wenig«, weil sich sozusagen eine »Kuck mal, Mama, freihändig«-Qualität durch ihre Arbeiten ziehe. Über ihre mimische Reaktion breiten wir den Mantel der Diskretion.
Aber immerhin produzierte sie. Sie war von höllischer, wenn auch kalter Fruchtbarkeit. Gut, in der Mensa wurden gehässige Argumente über die Vorzüge von Verstopfung gegenüber Durchfall laut, aber Mark Nechtr beteiligte sich nie daran. Er war schweigsam und äußerte sich schon gar nicht über seine Ambrose-Kommilitonen, über das Potenzial ihrer Werke, ihre Neurosen und Macken oder ihren Austauschvon Körperflüssigkeiten. Er vermied es, zu den Flüssigkeiten anderer Leute seinen Senf dazuzugeben, und kümmerte sich um seinen eigenen gesunden Kram. Das wurde von unserer kleinen Gemeinschaft als die würdevolle Zurückhaltung interpretiert, die sich nur die Wertvollen leisten können, und machte ihn umso beliebter. Es hatte eigentlich etwas Widerwärtiges – D. L.s ehemaliger McDonald’s-Kollege Tom Sternberg, der diplope Werbeschauspieler, sollte Mark das Etikett jener peinlich strahlenden Menschen verpassen, deren offenkundige Blindheit für den eigenen Glanz dessen Strahlen nur fieser macht. Sternberg etikettierte Mark, als sie sich alle programmgemäß am Maryland International Airport getroffen hatten und per Nachtflug zum O’Hare in Chicago geflogen waren, von wo es im Freiflughelikopter von LordAloft nach Collision, Illinois, weitergehen sollte zur geplanten Vereinigung aller Menschen, die je in einem Werbespot von McDonald’s aufgetreten waren, organisiert von J. D. Steelritter Advertising, mit der größten
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