Alles ist grün
waren beide schockiert.
Das versteht Mom, diese Offenbarung der Getrenntheit in einem vereinten Augenblick; das sind Eheprobleme im Unterschied zu persönlichen Problemen, Wellentäler in den Gezeiten des Sinusflusses, der alle langfristigen, lebenslänglichen emotionalen Interaktionen begleitet. Sie sagt:
»Jede Ehe hat ihre Höhen und Tiefen, sonst ist es keine Ehe. Soll ich dir von den Jahren mit deinem verstorbenen Vater erzählen?«
Ja, Mom.
Aber dann auch nein.
Ich könnte ehrlicherweise mit dieser inneren Paralyse kontern, die täglich eine beliebig ausgedehnte Schnittmenge von Alltagssorgen zweier zusammengepferchter Menschen begleitet, und wie die einem Mann die Luft zum Atmen nimmt. Dass sich Bonnies Konversationsthemen an jedem Abend, den Gott werden lässt, zu Problemen verdichten. Was es kostet, die Zweiersofas im Wohnzimmer neu beziehen zu lassen. Welche Qualität die Fleischstücke x in Markt y haben. Dass das mit dem hartnäckigen geheimnisvollen psoriatischen Ausschlag an Joshs Penis, den er immerzu kratzen muss, einfach nicht so weitergehen kann.
Dagegen: Diese Partnerin, die im besten wie im schlimmsten Sinne noch ein Kind ist: entweder eingeschnappt, überwältigt, stumm, Ja ( Sí! Ja [Gott!]) kreischend; oder aber auf ihrem Sears-Sofa einem Dozenten mit gelockerter Krawatte, den der alltägliche Kampf gegen die fast schon sowjetische Bürokratie seines Germanistikinstituts an der Universität in einen Stupor gedroschen hat, also mir, ein kühl plätscherndes Bächlein bietend aus so irrelevanten und unbezahlbaren Einsichten wie »Heute hass ich meine Haare; ich hasse sie einfach« (wie kann man sein Haar hassen?); oder »Im Fernsehen hab ich gestern Abend gemerkt, dass Karl Maldens Nase einem männlichen Hodensack ähnelt, nein?« (ja); oder »Schaise, Mann, das ist nicht lustig, ich bekomme meine Periode in der weißen Scheißjeans, in der ich grade bei Jewel an der Kasse stehe«; oder »Schlägt Mike dich, wenn er das rauskriegt?« (wenn das bloß so einfach wäre); oder »Ich werd niemals mehr jemanden lieben«; »Du möchtest, dass ich Mitleid mit deiner Frau habe, die du nicht mehr liebst« (wenn das bloß so wäre).
Ja, Mrs. Tagus, des Navigierens, der Zwangslagen, des Routineschmerzes und der dargestellten Midlife-Angst überdrüssig. Eine Einheit Zimtmilch, von der niemaligen Liebe zu jemandem entflammt, gegen erschöpfend erprobte Treue, nüchternen Realismus, Mitgefühl, Schwung, eine Frau, die für alle Zeiten Farbe und Geruch von Hautcreme mitbringt.
Dagegen dagegen dagegen: Die Gründe, die sich gegen andere richten, sind leicht zu manipulieren. Alles Hohle ist leicht.
Weil ich das Wohlbefinden satthabe. Das Gutsein. Vielleicht habe ich es einfach satt, nicht zu wissen, wo in mir die Jahrtausenderwartungen einer Konstellation enden und mein eigener Wille seinen Kastorhut aufhängt. Ich wünsche mir eine gut verhängte Ecke. Ich wünsche mir Eigenwilligkeit. Ich will das. Das ist auch nicht komplizierter als ›jetzt ist schluss mit lustig‹.
Das heißt Schluss mit Lenny.
Und dann kein Scheißdreck mehr, wenn ich sogar mir selbst nur Hälften schicken kann.
Wenn Bonnie bloß mal das Kratzen an der Schranktür lassen würde.
LABOV
»Ein guter Junge, Lenny«, sagt Mrs. Tagus wahrheitsgemäß in mein Telefon. »Du bist ein guter Mann, und wir lieben dich, Bonnie, Mikey und ich. Und Mr. Labov auch«, dabei sieht sie in meine Richtung, und die Tapferkeit, die bei Mrs. Tagus so lange gehalten hat, weicht, und Mrs. Tagus weint, weint, wie man sich das Weinen ganzer Nationen vorstellen könnte, und aus Respekt wende ich mich ab. Ich schiebe die arthritischen Hände unter die Arme im Mantel und sehe über die Feuerleiter und über den Hinterhof meines Hauses hinweg auf das Fenster, auf das mein Fenster hinausgeht, dessen Jalousie ich noch nie hochgezogen gesehen habe. Sie ist seit der Vietnamära herabgelassen, und ich weiß nicht, wer in der Wohnung wohnt. Ich merke, dass das Gespräch verstummt ist, und Mrs. Tagus hinter mir hat unter der abstehenden Tapete den Hörerdes Wandtelefons aufgelegt. Sie weint wie eine Nation, die Augen fest geschlossen, weil sie solche Magenschmerzen hat, dass ich sie mir gar nicht vorstellen möchte. Ich gehe zu Mrs. Tagus.
MIKEY UND LOUIS
»Mikey, ich hab nur wo gesagt, mehr hab ich nicht gesagt.«
»…«
»Wenn ich schon geschnappt werde und so schnell irgendwohin verschwinden muss, dann will ich wissen, wo es hingeht, das ist
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