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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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konditionierte Ängste, dass sie dir in Fleisch und Blut übergegangen sind. Eingebaut. Verborgen vor aller Augen. Du weißt, dass du das da hinten fühlst. Das Gefühl ist so konditioniert, dass es ein Teil von dir geworden ist. Wie in: Es gibt Dinge, die man, egal was kommt, einfach nicht tut. Man bringt seinen Vater nicht um. Man betrügt seine Geliebte nicht. Man lügt nicht. Außer wenn absolut nötig. Mit einer geladenen Waffe zielt man nicht. Außer zur Selbstverteidigung.«
    »Man verschwindet nicht«, sagt D.   L. tonlos. »Man verbrüht Menschen nicht im Schlaf.«
    »Das schreib ich ohne Weiteres sofort dazu«, J.   D. nickt ernsthaft und düster. »Und noch eins. Schönes stopft man nicht wie Treibstoff in sich rein, wenn der ganze Sinn des Schönen darin besteht, außerhalb von einem zu sein. Manche Dinge sind angeblich in der Welt. Um gesehen zu werden. Nicht um gekaut, geschluckt und ausgeschieden zu werden.«
    DeHavens Ansichten zu alldem sind gebrochen. Er denkt an die Tonnen von Rosen, die er im Lauf seiner Kindheit im Farmhaus schätzungsweise verzehrt hat; und er spürt eine wachsende Nähe zu D.   L. Eberhardt, die, als sie die Bestätigung des weisesten Rats ihres Mediums hört, mehr und mehr an eine Katze erinnert, die den großen Schatten einer namenlosen und totalen Bedrohung anfaucht – und zudem ziemlich gut entwickelte Reißzähne mitbringt –, und er hat zunehmend Angst, sein übermüdeter Vater könnte durchgedreht sein, ein bisschen, wegen der Rosen, die keine, und das heißt null, historische Auswirkungen auf DeHaven haben; und der entnaste Clown hat Angst, dass J.   D. ihn diesen heimtückischen Wagen, den er mit seinen zwei handschuhlosen Händen gebaut und abgeschmiert hat, bis zum absoluten Ölschwund, zum Stillstand und zur Panne fahren lässt; und er wünscht sich brennend, sie könnten einfach anhalten, ein bisschen im Leerlauf stehen, J.   D. könnte sich beruhigen, schließlich geht es nur um Snacks und Werbespots, DeHaven könnte mal nach seinem Ölmessstab sehen … sie könnten einfach halten, um die Lage unter der glitzernden Motorhaube zu checken; sie könnten sich eine kurze Unterbrechung erlauben, die letztlich wahrscheinlich sogar Zeit sparen würde; er wünscht sich, sie –
    »Paps.«
    »Aber auch diese eingefleischten Gefühle sind konditioniert«, sagt J.   D. »Wisst ihr, was die erste wirklich geniale und zeitlose Werbekampagne aller Zeiten war?« Er sieht im Rückspiegel zwei ausdruckslos starrende Augenpaare, die zwei geschlossene Augen flankieren. »Meine Güte«, er schüttelt angewidert den Kopf. »Dann eben Langeweile: Selbst ihr Jugendlichen wisst doch, dass ihr die Langeweile im Bauch genauso spürt wie die Angst. ›Tut nichts, was nicht recht ist‹. Abgedroschenes Bild. Trivialer Jingle. Keine Vermählung, nirgends. Veraltet. Das Veralten ist in die Konditionierung schon eingebaut. Wie bei dem Juden, wie heißt der noch gleich, mit seinen Glöckchen und den sabbernden Hunden. Der Hund hört das Klingeln des Scheißglöckchens, immer wieder, und seine Welpen auch, ganze Hundegenerationen, klingelingeling, bis das Geräusch zum Geräusch des Bluts in den Köpfen der Hunde geworden ist – sie können es nicht mehr hören, hören nicht mehr zu – nach einer Weile hört sogar dasSabbern nach dem Fleisch auf, das die Glöckchen ursprünglich ausgelöst hatten. Nach ausreichend Zeit und Glöckchen fangen sie beim Klingeln an zu gähnen. Drüben bei Steelritter Ads haben wir die Konditionierung bis hier erforscht.« Er hebt eine Hand wie eine Klinge bis ans edle Schädeldach, und mit der anderen drückt er sacht die Blumen in seinem Beutel.
    »Wenn man nicht tut, was man tief in sich drin für falsch hält, ist das langweilig?«, sagt Mark und fühlt den Stich einer speziellen Benommenheit, die er mit Eigenschaften assoziiert, die ihn eigentlich erglühen lassen sollten.
    J.   D. hört nur noch die eigene leise Stimme und Für Wen: »Sodass dieselben Ängste, die deinen ganzen, wie heißt das noch …«
    »Charakter«, murmelt Magda Ambrose-Gatz.
    »… Charakter ausmachen: Dass du die nicht mehr hören kannst, nicht mehr von ihnen berührt wirst, so kalter Kaffee sind sie inzwischen«, sagt J.   D. Er dreht sich zu ihnen herum und stützt sich auf den Ellbogen. »Die größte Herausforderung des Werbers: Wie bringt man die Leute dazu, den Hintern vom Sofa zu schwingen; wie dreht man die millenniale Langeweile um, bringt die Dinge wieder auf Kurs

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