Alles ist mir nicht genug
Trainingsanzug und hatte die Haare
zu einem lockigen Pferdeschwanz gebunden - ein Bild der Unschuld. »Was denn?«
Dan rollte mit
seinem Stuhl zur Seite, damit sie freie Sicht auf den PC hatte.
»Was gibt's
denn?«, wiederholte Jenny ungeduldig und kam einen Schritt ins Zimmer. Als sie
sich mit nacktem Po auf dem Monitor sah, stieß sie einen erstickten Schrei aus.
Es war, als würde sie einen Horrorfilm angucken, in dem sie selbst die
Hauptrolle spielte. Sie wäre am liebsten gestorben und fragte sich entsetzt,
wie das hatte passieren können.
»Das bist du
mit diesem Nate«, erläuterte Rufus unnötigerweise. Er atmete schwer.
Rufus war ein
liberaler Vater. Dan durfte in seinem Zimmer rauchen und trinken, soviel er
wollte. Jenny hatte sich mit neun ihre ersten Plateauschuhe kaufen dürfen. Aber
sie war immer noch sein kleines Mädchen, und zu sehen, wie sie sich halb nackt
mit einem Jungen durchs Internet wälzte, war mehr, als er verkraften konnte.
Jenny starrte
fassungslos auf den Bildschirm, wo der Film gerade wieder von vorn begann. Da
war wieder ihre Mütze, ihr Tanga, ihr Po, auf den Nate seine Lippen drückte,
und jetzt rollten sie sich in seinen Mantel gehüllt im Schnee herum. Der
Moment war so intim, so besonders gewesen, und jetzt konnte die ganze Welt
ihnen zugucken - einschließlich ihres Bruders und ihres Vater. Sie gab ein
schwaches Krächzen von sich und rannte aus dem Zimmer.
Rufus guckte
sich den Film noch einen Moment an. Dann fragte er drohend: »Weißt du was über
die Sache, Dan?«
Dan schüttelte
den Kopf. Er fühlte sich schuldig. Er war durch seine Schreibblockade und das
Sexproblem mit Vanessa so abgelenkt gewesen, dass er Jenny nicht vor diesem
Kinderschänder hatte bewahren können, dem bonzigen Wüstling Nate.
»Ab jetzt
behältst du sie im Auge«, blaffte Rufus ihn an. »Ich lasse ihr ja wirklich viel
durchgehen, aber ich kann nicht tatenlos mit ansehen, dass sie sich wie ein
Flittchen aufführt.«
Dan nickte
ernst. Rufus schlug ihm auf die Schulter und ging dann in Jennys Zimmer. Sie
lag bäuchlings auf dem Bett, das Gesicht in einem weichen Daunenkissen
vergraben und von den Porträts ihres geliebten Nate umgeben.
»Jennifer.«
Rufus versuchte, nicht zu brüllen. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal tun
muss, aber du lässt mir keine andere Wahl. Für den Rest der Ferien hast du
Hausarrest. Du bleibst zu Hause. Kein Kino, kein Taschengeld, keine Anrufe,
keine E-Mails, kein gar nichts. Und vor allem kein Kontakt zu diesem Kerl,
diesem Nate. Und weil man dir ja offensichtlich nicht trauen kann, wird Dan
dich bewachen und sicherstellen, dass du dich nicht heimlich aus dem Haus
schleichst.«
Jenny setzte
sich mit einem Ruck auf. Ihr Gesicht war rot gefleckt und ihre Unterlippe
zitterte. »Das ist voll gemein!«, rief sie. »Ich hab keine Ahnung, wer das
gemacht hat! Ich kann doch nichts dafür! Nate und ich... wir lieben uns. Er war
mit mir im >Nussknacker Rufus brachte
sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Du bist zu jung und hast keine
Ahnung von irgendwas, am allerwenigsten von Liebe.«
»Aber Dad, ich
wusste doch gar nicht, dass wir gefilmt werden.« Jenny drückte schluchzend
ihren Pandabären an sich.
Rufus zog
seine buschigen Brauen hoch und rieb sich über das stoppelige Kinn. »Ach? Und
du meinst, das macht irgendetwas besser?«
»Mir ist
sowieso alles total egal!«, brüllte Jenny, schleuderte ihren Panda zu Boden
und weinte wütende Tränen. »Es ist mir egal, was du denkst! Wir haben nichts
Schlimmes gemacht.«
Rufus ging vor
dem Bücherregal in die Hocke und zog »Anna Karenina« heraus, das er ihr letzten
Sommer geschenkt und das sie nie gelesen hatte. Er stand auf und warf das Buch
auf ihr Bett. »Ich sag dir, was ich denke«, rief er. »Ich denke, dass es dir
gut tut, zu Hause zu bleiben und zu lesen.«
Jenny starrte
auf das Buch und stieß trotzig mit dem Fuß dagegen, bis es von der Decke
rutschte und auf den Boden fiel. Rufus schüttelte entrüstet den Kopf, drehte
sich um und schlug die Tür hinter sich zu, bevor er einen cholerischen Anfall
bekam.
Dan hatte von
seinem Zimmer aus alles mit angehört und dabei auf den Bildschirm gestarrt, auf
dem sich der Film unablässig wiederholte. Im ersten Schock darüber, dass seine
kleine Schwester in einem Web-Porno mitspielte, war ihm etwas Wichtiges
entgangen. Die Kameraführung kam ihm erschreckend vertraut vor. Es waren die
ungewöhnlichen Einstellungen
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