Alles kam ganz anders
rief ich ins Telefon. „Je eher, desto besser! Ich habe eine ganze Menge mit dir zu besprechen! Ich habe alle meine Zukunftspläne geändert!“
„Nanu? Hast du einen anderen gefunden, den du lieber heiraten möchtest?“
„Ja, einen fünfundneunzigjährigen Multimillionär, du Quasselkopf! Heiraten werde ich dich schon, aber bis dahin soll noch eine ganze Menge geschehen!“
„Ich platze vor Neugier!“
„Oh, das ist alles zuviel, um es am Telefon zu besprechen. Komm sobald wie möglich, und nimm ein französisches Wörterbuch mit, damit du dich mit Grand-mère unterhalten kannst!“
„Ach du heiliger Strohsack! Französisch! Ich denke, sie ist Italienerin?“
„Gebürtige Französin, italienisch verheiratet“, erklärte ich. „Schaffst du es denn auf italienisch?“
„Etwas habe ich ja in dem halben Jahr gelernt, das ich in Rom verbrachte! Gut, mein Lillepus, ich komme dann Freitag abend. Soll ich Zelt und Schlafsack mitbringen?“
„I wo, du schläfst in Papas Filmwerkstatt!“
„Prima! Dann auf Wiedersehen, grüß Bisken und die übrige Familie. Und, Lillepus – ich habe dich nach wie vor lieb!“
Ich lächelte, als ich den Hörer auflegte. Jedes Telefongespräch mit Ingo endete mit den gleichen Worten. Und Ingo war der einzige Mensch, der mich noch bei dem Kosenamen aus meiner frühen Kindheit nennen durfte. „Lillepus“ ist ein norwegisches Wort und bedeutet „Muschi“.
Jetzt erschien Grand-mère, ausgeruht und unternehmungslustig.
„Grand-mère! Freitag kommt Ingo! Er freut sich darauf, dich kennenzulernen!“
„Oh, großartig! Ich muß schnell nachsehen, was wir im Haus haben – oder, warte mal! Heute ist Mittwoch, Elaine, wir fahren morgen nach Hannover! Da gibt es doch Feinkostgeschäfte?“
„Und ob!“
„Ich kann dich ja hinfahren, Grand-mère!“ bot Mama sich an.
„Dich kann ich gar nicht gebrauchen! Asbjörn auch nicht! Elaine und ich fahren mit dem Bus. und zwar frühmorgens, spätestens um acht. Einverstanden, ma petite?“
La petite war einverstanden. Wenn Grand-mère etwas will, dann hat man einverstanden zu sein!
Ich ahnte, warum sie Mama nicht mithaben wollte. In eineinhalb Wochen würden wir Mamas vierzigsten Geburtstag feiern. Grand-mère sah in dieser Tatsache eine Gelegenheit, ein Supermenü zu kochen, außerdem wollte sie ganz bestimmt Geschenke kaufen. Ich selbst hatte auch einiges zu besorgen.
Grand-mère und ich würden uns schon einen schönen Einkaufstag machen!
Unsere erste Wanderung in Hannover führte uns zur Bank, wo Grand-mère Reiseschecks einlöste. Mit prall gefülltem Portemonnaie und einer meilenlangen Einkaufsliste starteten wir zu unserem Stadtbummel.
Allmählich wurde das Portemonnaie leichter und unsere Einkaufstaschen bedeutend schwerer. Und ich hatte meine liebe Not mit dem Dolmetschen. Ich dachte, ich könnte Französisch, aber was Grand-mère an ausgefallenen Gewürzen und seltenen Früchten verlangte, ging über meine Kenntnisse!
„Grand-mère!“ sagte ich endlich. „Wollen wir uns nicht einen Augenblick ausruhen? Dort drüben im Park stehen Bänke, wollen wir uns nicht fünf Minuten da hinsetzen?“
„Ich habe einen besseren Vorschlag“, sagte meine unermüdliche Urgroßmutter. „Dort drüben scheint doch eine Konditorei zu sein? Da treffen wir uns in einer halben Stunde. Genau an der Ecke, vor der Eingangstür. Klar?“
„Ja, aber Grand-mère, geh nun nicht zu weit! Glaubst du bestimmt, daß du hier zurückfindest? Du kennst ja die Stadt nicht!“
„Ich bin doch nicht von gestern! Ich kann mich gut orientieren, und außerdem habe ich gar nicht vor, weit zu gehen. Ich will in einem Geschäft nach etwas fragen…“
„In welcher Sprache?“
„Deutsch! Ich habe doch das Taschenwörterbuch mit! Und übrigens, solltest du nicht etwas für deine Mutter besorgen?“
„Doch. Elektrische Birnen und eine Verlängerungsschnur. Gut, Grand-mère, das tue ich dann, während du weitere Leichtsinnigkeiten erledigst. Warte mal“, ich riß ein Blatt aus meinem Taschenkalender und kritzelte den Namen der Konditorei darauf.
„Hier, Grand-mère. Falls du dich doch verlaufen solltest. Frage nach dieser Konditorei, die kennt jeder.“
„Ich brauche nicht zu fragen!“ behauptete Grand-mère, aber sie steckte doch den Zettel in die Tasche. „Und wenn wir uns dann treffen, lade ich dich zu einem Eis ein. Zu einem ganz großen – gemischtes Eis mit Früchten und Schlagsahne!“
Wenn etwas meine Lebensgeister wecken und
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