Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles kam ganz anders

Alles kam ganz anders

Titel: Alles kam ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
Vom Netzwerk:
Mademoiselle bleiben, Madame“, sagte die junge Mutter. „Ich bin nicht verheiratet – und ich bin achtzehn. Ich war sechzehneinhalb. als Titine geboren wurde. Und ich heiße Simone.“
    „Titine“, wiederholte Grand-mère. „Der Name erinnert mich ganz rührend an meine Jugend. Da war doch ein Schlager – Je cherche après Titine – ach, zu der Melodie habe ich mich verliebt. Ja, und dann ,Sur le pont d’Avignon’…“
    Simone lächelte. „Ja, die Melodie stirbt wohl nie“, sagte sie. „Ich kenne sie besonders gut, ich bin in Avignon geboren.“
    Da fiel Grand-mère der Eislöffel aus der Hand.
    „Was? Sie sind aus Avignon? Das bin ich ja auch! Da wohnte ich, bis ich nach Italien heiratete! Ach, mein schönes, liebes Avignon… meine Provence, mit den Rosen und den herrlichen Kastanien… und den wilden Pferden der Camargue. Das kennen Sie also alles, Simone?“
    Simone nickte.
    „Ja, das kenne ich. Allerdings kam ich schon mit zwölf Jahren nach Deutschland, als meine Eltern geschieden wurden, aber ich habe jedes Jahr meinen Vater in Avignon besucht.“
    Grand-mère und Simone plauderten weiter, ich hörte zu und beschäftigte mich mit Titine. Sie hatte eine rosa Eiskugel bekommen, und es machte mir Spaß, sie zu füttern. Wenn ich einen Augenblick zu lange wartete, kam eine helle kleine Stimme: „Titine haben!“, und ein Händchen wurde in Richtung der Eiskugel ausgestreckt.
    Titine war entzückend.
    Allmählich verlor sie das Interesse für das Eis. Jetzt musterte sie mich, ihre Augen blieben an meiner Halskette hängen, und wieder kamen das kleine Händchen und die helle Stimme: „Titine haben!“
    Ich nahm sie auf den Schoß, hakte die Kette aus und ließ sie damit spielen. Wie war sie süß, wie sie dasaß und strahlend die bunten Perlen durch die Hände gleiten ließ. Die Kette hatte ich von Marcus bekommen, und er hatte sie persönlich nach seinem eigenen Geschmack gekauft. Es war eine außerordentlich bunte Kette, aber zu einem Sommerkleid sah sie ganz lustig aus. Sollte Titine sie zerreißen, so wäre das kein allzugroßes Unglück – die Perlen waren aus Plastik und hatten einen entsprechenden Wert. Ich könnte beim Dorfkaufmann jederzeit neue kriegen.
    Während ich mit Titine spielte, horchte ich sozusagen mit halbem Ohr auf Grand-mères und Simones Gespräch. Grand-mère hat die merkwürdige Eigenschaft, anderen Menschen unbegrenztes Vertrauen einzuflößen. Ihre jungen, leuchtenden Augen strahlen so viel Güte aus, sie erzählen von einem Menschen, der die Freuden und Sorgen anderer teilen kann. Kein Wunder, daß Grand-mère überall beliebt ist! Ich mußte sie aber schließlich daran erinnern, daß wir versprochen hatten, rechtzeitig zu Mittag zu Hause zu sein.
    „Ach, ist es so spät? Nur einen Augenblick, ma petite, ich gehe schnell zum Kuchentisch, wir müssen doch ein paar Kuchen für Marcus… na ja, auch für deine Eltern mitbringen.“
    „Soll ich dir helfen, Grand-mère?“
    „I wo. das schaffe ich per Fingersprache. Sag nur schnell was ,envelopper’ heißt!“
    „Einpacken!“
    „Ach ja, richtig, das wußte ich ja eigentlich. So, ich komme gleich zurück!“
    Ich kannte Grand-mères „gleich“. Das war ein dehnbarer Begriff wenn sie etwas gegenüberstand, das sie interessierte. Und jetzt war sie tief versunken in die Qual der Wahl zwischen Nußtorte und Kirschtorte, Obstkuchen und Sahnerollen, Quarktorte und Windbeuteln. Simone lächelte.
    „Wie ist Ihre Großmutter doch reizend!“ sagte sie, und jetzt sprach sie deutsch.
    „Das ist sie – aber sie ist nicht meine Großmutter, sondern meine Urgroßmutter!“
    „Ach ja, jetzt erinnere ich mich – sie sagte ja Urenkelin. Ich wünschte. ich hätte eine solche Urgroßmutter! Sie bat mich um meine Anschrift, ich gebe sie Ihnen.“ Simone schrieb schnell ein paar Zeilen auf die Papierserviette. „Und Sie heißen Grather und wohnen in Rosenbüttel, das weiß ich schon.“
    „Was hat Grand-mère für Pläne mit Ihnen?“
    „Sie will sich umhören, ob jemand vielleicht einen Job für mich hat. Und dann sagte sie freundlicherweise, daß sie mich gern wieder treffen möchte!“
    „Das möchte ich auch! Und besonders gern möchte ich Titine wiedersehen! Die könnte ich direkt klauen!“
    „Das brächten Sie nie übers Herz“, lächelte Simone. „Sie würden nie einem Menschen das Liebste, das er besitzt, stehlen!“
    Sie sagte es lächelnd, aber in ihrer Stimme war etwas, das mich aufhorchen ließ.
    Jetzt erschien

Weitere Kostenlose Bücher