Alles kam ganz anders
Hosenbein ganz durchnäßt war. Daran war er selbst schuld. Als er in der Narkose lag, hatte er ein Bächlein produziert, und das hatte sich auf meine Jeans ergossen.
„Papa, weißt du was. es würde mir einen Heidenspaß machen, bei Dr. Sager zu arbeiten! So als Ferienjob. meine ich. Glaubst du, daß es sein Ernst war?“
„Schon möglich. Das wird sich zeigen.“
„Ja. aber ich habe doch nichts weiter gemacht, als meinen eigenen Hund festzuhalten, das kann doch jeder Hundebesitzer!“
„Denkste! Habe ich dir nicht von meiner tierärztlichen Tätigkeit erzählt, als ich noch Schuljunge war? Nebenan war eine Tierarztpraxis. Damals ging es nicht so fein zu wie jetzt, die Tierärzte hatten gewöhnlich keine Assistentin. Ich war mal beim Tierarzt mit meiner Katze und mußte sie während der Behandlung festhalten, und der Tierarzt lobte mich, weil ich ruhig blieb und ein paar Kratzer als eine Selbstverständlichkeit hinnahm. Ja. und dann kam nach mir eine Hundebesitzerin, die nicht mit ansehen konnte, daß ihr Liebling eine Spritze bekam. Also steckte ich meine Katze in das Deckelkörbchen und hielt den Köter fest. Das ging großartig. Und eins, zwei, drei hatte der Tierarzt mich als eine Art Nothelfer angestellt! Wenn hysterische Tierbesitzer ihre Hunde und Katzen nicht selbst festhalten konnten und großes Theater machten, dann rief der Arzt bei uns an und fragte, ob der Asbjörn wohl einen Augenblick rüberkommen könnte. Das konnte ich immer! Ich bekam auch ein paar Kronen dafür, oder genauer gesagt, eine Krone für jedes festgehaltene Tierchen! Siehst du, es kommt also wirklich vor. daß die Leute unfähig sind, ihre Lieblinge in einer solchen Situation zu behandeln, wenn eine eingewachsene Kralle ausgezogen oder ein Geschwür geschnitten werden muß. Es gibt Leute, die kein Blut und keinen Eiter sehen können, und die selbst zu erbrechen anfangen, wenn sie sehen, daß sich ein Hund übergibt!“
„Du liebe Zeit!“ sagte ich. „Aber Papa, Bisken hat weder geblutet noch gebrochen.“
„… aber gepüschert!“ lachte Papa. „Ich guckte Dr. Sager an, als das Bächlein auf deiner Hose landete, und ich meine, einen Ausdruck von Anerkennung beobachtet zu haben, als du keine Miene verzogen und keine Bewegung gemacht hast.“ Ich mußte laut lachen.
„Das wäre noch schöner, wenn ich Bisken mitten in der Behandlung losgelassen hätte wegen des kleinen Bächleins!“
„Es gibt Leute, die es getan hätten“, sagte Papa. Da tauchte das Schild mit dem Namen Rosenbüttel auf, und ein paar Minuten später waren wir zu Hause. Grand-mère war untröstlich.
„Es war alles meine Schuld!“ jammerte sie. „Ich hätte besser aufpassen sollen! Ich ahnte nicht, daß etwas auf den Fußboden gefallen war! Armer kleiner Bisken – mon pauvre petit!“
„Alles mit der Ruhe, Grand-mère!“ tröstete ich. „Bisken geht es jetzt blendend, und der Tierarztbesuch war sehr nützlich für mich. Er hat mich nämlich dazu gebracht, meine Zukunftspläne zu ändern. Es gibt etwas, das ich lieber tun möchte, als Keramik zu machen. Ich möchte Praxishelferin bei einem Tierarzt werden!“
„Helferin?“ wiederholte Grand-mère und sah mich sinnend an. „Warum willst du dich damit begnügen? Warum studierst du nicht Veterinärmedizin? Warum wirst du nicht selbst Tierärztin?“
Simone
Jetzt drehte sich wirklich alles in meinem Kopf.
Grand-mères Worte hatten mich beinahe aus der Fassung gebracht. Ganz neue Zukunftsperspektiven öffneten sich. Keine Sekunde hatte ich daran gedacht zu studieren. Nach dem Abitur wollte ich schon irgend etwas lernen – aber studieren?
Und dann hatte Grand-mère so ganz einfach und unbeschwert gefragt, warum ich nicht Tiermedizin studieren wollte!
Studieren – ein langes und schwieriges und unsagbar verantwortungsvolles Studium, ein Studium, das sehr viel Geld kosten würde – irgend jemand hatte mir erzählt, daß man elf Semester für dieses Studium brauchte. Elf Semester, fünfeinhalb Jahre –, ach, das war ja Wahnsinn, warum sollte ich bloß – ich wollte doch Ingo heiraten, ich wollte sobald wie möglich eine leichte und einfache Berufsausbildung haben, gerade so, daß ich etwas als Reserve hatte. Etwas, womit ich, wenn Not am Mann wäre, Geld verdienen konnte.
Ich konnte nicht einschlafen. Immer wieder hörte ich Grand-mères Stimme: „Warum studierst du nicht Veterinärmedizin?“
Eine Kleintierpraxis. Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Hamster, ab und zu ein Affchen.
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