Alles kam ganz anders
Simone.
„So ein rührender kleiner Brief“, sagte Mama, als ich ihn ihr zeigte. Dasselbe sagte Grand-mère, als ich ihr den Brief übersetzt hatte.
Sie dachte einen Augenblick nach, den Rührlöffel in der Hand und ihr mitgebrachtes französisches Kochbuch aufgeschlagen auf dem Küchentisch. Sie war dabei, ein feudales Essen zu Ingos Besuch vorzubereiten.
„Ach, Kinder, wißt ihr was – können wir nicht die kleine Simone einladen? Wenn ein Stündchen in einer Konditorei mit einer uralten Frau ein Erlebnis ist, was würde es dann für sie bedeuten, einen ganzen Tag mit einer lieben, herzensguten, fröhlichen Familie zusammenzusein! Was meinst du, ma petite?“
Diesmal war Mama die petite.
„Hast du nicht ein paar Adjektive vergessen, Grand-mère?“ schmunzelte Mama. „Du sagst nur lieb, herzensgut und fröhlich – da fehlen doch bezaubernd, entzückend, hinreißend, großartig, genial…“
„…und unverschämt“, ergänzte Grand-mère. „Also, was meinst du?“
„Dasselbe wie du, wie immer, du alter Familientyrann“, lächelte Mama und küßte Grand-mères Wange. – „Ihr sagtet doch, daß Simone Telefongespräche entgegennehmen muß, also haben diese Leutchen Telefon. Ruf doch an, Elaine, lade Simone mit Anhang zum Dienstag ein. Bis dahin ist wohl dein lästiger Bräutigam wieder weg?“
„Und wir haben noch reichlich Zeit, um die Geburtstagsfeier für seine lästige Schwiegermutter vorzubereiten. Gut, ich rufe an!“
Simone freute sich so, daß ihre Stimme zitterte.
„Oh, wie schön, nein, wie freue ich mich, das ist aber reizend von euch. Ich werde die Stunden und Minuten zählen! Wann sollen wir kommen?“
„Zum Frühstück“, sagte ich ohne Zögern. „Die Viecher können doch von morgens bis abends allein zurechtkommen? Sie müssen eben einen Haufen Futter frühmorgens hingelegt bekommen. Also, wir erwarten Sie dann mit dem Bus, der Viertel vor neun hier ankommt, dann kommen wir gerade pünktlich zum Frühstück um neun. Ja, natürlich hole ich euch am Bus ab! Ja richtig, was mag Titine am liebsten essen?“
„Oh, sie ist Allesesser, bloß keine allzu gewürzten Sachen!“
„Ich werde Grand-mère sagen, daß sie sich beherrschen muß und ihre ostasiatischen Höllengewürze für später aufhebt. Also, herzlich willkommen, Simone, wir freuen uns auf Dienstag!“
„Und ich erst!“ klang eine etwas unsichere Stimme aus dem Hörer. Es war, als hätte Simone einen Kloß im Hals. „Und ich erst!“
„So“, sagte ich, als ich den Hörer aufgelegt hatte. „Jetzt melde ich mich ab, ihr müßt ohne mich zurechtkommen.“
„Was hast du denn vor?“ fragte Grand-mère. „Ich dachte, du würdest mir in der Küche helfen, ein neues und sehr schönes Gericht kennenlernen und das Rezept aufschreiben?“
„Heute kann ich nicht, liebste Grand-mère. Ich muß doch das Zimmer für meinen Herzallerliebsten richten!“
„Gut, das sehe ich ein“, nickte Grand-mère. „Wann kommt er?“
„Irgendwann heute nachmittag. Dein Wundergericht müssen wir also bis heute abend aufheben.“ Grand-mère strahlte.
„Großartig! Dann muß ich ja auch zu Mittag etwas kochen, etwas Leichtes, mal sehen…“ Schon hatte sie ihr geliebtes Kochbuch aufgeschlagen, setzte die Lesebrille auf und war für die nächsten Stunden nicht ansprechbar.
Ich holte Bettwäsche, Staubtuch, eine Tischdecke und was man sonst so braucht, wenn man aus einer Filmwerkstatt ein halbwegs gemütliches Schlafzimmer zaubern will.
Bisken blieb mir auf den Fersen. Während ich aus der Couch ein einladendes Bett machte, während ich aufräumte und Staub wischte, plauderte ich mit meinem Hündchen. Er zeigte durch andauerndes Schwanzwedeln, daß er es schätzte, und tat so, als verstünde er jedes Wort!
„Was glaubst du, Bisken, wird Ingo zu meinen neuen Zukunftsplänen sagen?“ fragte ich. „Er glaubt, daß ich ein oder zwei Jahre Töpfern lernen werde, und dabei habe ich ein Studium von sechs Jahren vor mir. Und ein Jahr als tierärztliche Assistentin. Aber dann, Bisken – dann!!! Weißt du was? Wenn Mama und Papa und Marcus zurück nach Frankfurt müssen, und das müssen sie ja irgendwann, dann bleiben wir hier, du und Ingo und ich. Und aus diesem Häuschen hier machen wir ein Wartezimmer und ein Sprechzimmer und einen Röntgenraum, und dann verarzte ich Wauwaus und Muschis und Meerschweinchen und Wellensittiche! Glaubst du, daß hier in unserer Gegend so viele Kleintiere sind, daß meine Praxis sich lohnen
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