Alles kam ganz anders
soll.
In meiner Familie neigen die Ereignisse dazu, sich zu häufen. Immer passiert alles auf einmal!
Es fing damit an, daß das Telefon klingelte.
„Geh ran, Elaine!“ rief Mama aus der Küche. „Ich habe ganz klebrige Hände!“
Mama war dabei, die ersten selbstgezüchteten Erdbeeren einzukochen. Kein Wunder, daß sie klebrige Finger hatte!
Also ging ich ans Telefon.
„Hier bei Grather! Guten Tag!“ Eine ferne aber deutliche Stimme meldete sich.
„Il faut parler français, ma petite! Ici grand-mère!“
„Grand-mère!!!“ rief ich. „Liebste grand-mère, wo bist du?“
„In Villeverte! Zu Hause! Sag mal, was ist mit euch los?“
„Mit uns? Gar nichts! Uns geht es glänzend! Und dir, grand-mère? Geht es dir gut? Bist du gesund?“
„Gesund? Wütend bin ich! Deswegen rufe ich doch an!“
„Wütend? Doch etwa nicht auf uns?“
„Auf wen sonst? Was soll das heißen, daß ihr diesen Sommer nicht in die Schweiz kommt? Es ist das zweite Jahr, daß ihr uns im Stich gelassen habt! Ihr habt wohl vor, erst zu meinem Begräbnis zu kommen?“
„Um Gottes willen, grand-mère, wie sprichst du bloß! Du weißt doch, daß wir… Ach, da kommt Mama, schimpf weiter mit ihr!“
Mama hatte wohl in der Küche mitgekriegt, daß ich mit Grand-mère sprach. Sie hatte in Windeseile ihre Hände „entklebt“ und nahm den Hörer.
Ich horchte natürlich wie ein Luchs, aber vorerst gab es gar nichts zu horchen! Grand-mère hatte das Wort allein, und sie hatte anscheinend viel auf dem Herzen. Als sie endlich Luft holen mußte, sprach Mama – italienisch! Seit sie als kleines Kind oft die Großeltern in Italien besuchte, hat sie mit Grand-mère italienisch gesprochen, und das ist hängengeblieben.
Also konnte ich nur an ihrem Tonfall erraten, ob es traurige oder erfreuliche Dinge waren, die besprochen wurden. Mamas Gesichtsausdruck wurde immer heller, ein strahlendes Lächeln kam zum Vorschein, und die letzten Worte habe ich so einigermaßen verstanden. Ich meinte, sie sagte „großartig, wunderbar“, – und etwas, das ich mehr durch Instinkt als durch Sprachkenntnisse als „wir freuen uns unsagbar“ diagnostizierte.
Endlich legte sie den Hörer auf.
„Grand-mère kommt!! Sie will uns besuchen! In drei Tagen! Elaine, hol schnell Papa – und Marcus, falls du ihn irgendwo siehst –, ihr müßt mir alle helfen, wir haben tausend Dinge zu tun!“
Ich rannte in den Garten, wo unsere beiden Männer dabei waren, einen Maschendrahtzaun um Mamas Gemüsegarten zu bauen. Der Grund für diese Maßnahme, nämlich mein Hund, stand schwanzwedelnd dabei.
„Papa! Marcus! Kommt schnell! Wir kriegen Besuch! Grand-mère kommt!“
„Was?“ rief Papa und ließ eine Zange fallen. „Kommt sie hierher? Mit ihren einundachtzig Jahren? Sie hat vielleicht Mut! Das ist ja großartig – komm, Marcus, so wie ich eure Mama kenne, werden wir jetzt alle zum Großeinsatz abkommandiert!“
Das stimmte. Mama war ganz aufgeregt.
„Ja. sie war also zuerst wütend, weil wir auch diesen Sommer hierblieben, dann hielt sie mir eine lange Rede über Familiensinn und Familienliebe, und teilte mir mit, daß sie zwei Jahre ihre beiden Urenkelchen nicht gesehen hätte. Dann kamen ein paar Reflexionen über die Tatsache, daß sie seit zwölf Jahren nicht in Deutschland gewesen sei. Und nun wollte sie endlich unser Haus sehen – Verzeihung. Elaine, ich meine dein Haus – mit anderen Worten, sie hat einen Flug gebucht und kommt am Freitag in Hannover an. Sie erwartet, daß sie dort abgeholt wird.“
„Worauf sie sich verlassen kann!“ rief Papa. „Du weißt doch, Bernadette, Grand-mère ist deine einzige Rivalin. Also, wir werden jetzt alle eingespannt. Was sollen wir machen?“
„Du mußt entweder nach Braunschweig oder Hannover fahren, zu einem Feinkostgeschäft, ich schreibe dir gleich alles auf… Elaine, du mußt im Fremdenzimmer Staub wischen und den Teppich saugen… Ach, hol auch die Gardinen runter, wir stecken sie gleich in die Waschmaschine… Marcus, du läufst rüber zu Opa Geest und fragst, ob seine Hühner fleißig gewesen sind, ich brauche viele Eier zum Kuchenbacken!“
„Darf ich höflichst fragen, was du selbst machst?“ schmunzelte Papa.
„Kannst du dir das nicht denken? Ich bringe die Küche auf Hochglanz! Du kennst doch Grand-mère! Sie kommt Freitag, am Sonnabend morgen steht sie schon in der Küche und fängt mit dem Mittagessen an!“
Gleich darauf war ich in vollem Gange im Fremdenzimmer. Ich hörte,
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