Alles kam ganz anders
hatte. Die, die sich bei der Adoptionsvermittlung melden, werden genauestens geprüft, erst wenn man weiß, daß es gute Menschen in sicheren Verhältnissen sind – Menschen, von denen zu erwarten ist, daß sie dem Kind ein glückliches Elternhaus geben würden –, erst dann können sie sich die Hoffnung machen, ein Adoptivkind zu kriegen.
‚Denk daran’, sagte Tante Hedwig. ‚Dein Kind ist kein Wunschkind, aber bei liebevollen Adoptiveltern wäre es unbedingt ein Wunschkind! Du müßtest die Geburt und das Wochenbett wie eine Krankheit betrachten, eine Krankheit, nach der du dich schnell erholst. Du würdest das Kind nicht zu sehen bekommen, es würde nach ein paar Tagen seinen neuen Eltern überlassen werden. Und du könntest dann nach Hause fahren, wieder in die Schule gehen, dein Abitur machen, und deine Zukunft so gestalten, wie du sie geplant hast.’
Ach. Elaine, wenn du wüßtest, wie schwer es war. sich zu entscheiden! Ich war sechzehn Jahre alt und sollte plötzlich ganz allein die Entscheidung treffen!
Um es kurz zu machen: Ich entschloß mich dafür, das Kind wegzugeben. Was für eine Zukunft konnte ich einem Kind bieten? Und wie schön würde es für so ein kleines Wesen sein, zu guten, womöglich sogar wohlhabenden Eltern zu kommen’
Tante Hedwig nahm wieder die Sache in die Hand. Sie hatte während ihrer vielen Jahre als Hebamme öfters mit der Adoptionsvermittlung zu tun gehabt. Bald war die Sache in Ordnung. Ich sollte in einer Klinik in Flensburg entbinden, vielleicht sogar in Narkose, das Kind würde mir gleich weggenommen werden, und ich sollte zurück zu meiner Schule und meinem normalen Dasein.
Meine Mutter war erleichtert, als ich es ihr geschrieben hatte. Ich bat sie. mir die Schulbücher zu schicken, und versuchte dann, allein ein bißchen weiterzukommen.
So verging der Herbst, und zu Weihnachten kam Mutti zu Besuch, nur zwei Tage. Aber wir konnten jedenfalls den Heiligen Abend zusammen feiern. Daß ich an dem Abend auch ein bißchen heulen mußte, na. das war vielleicht nicht so merkwürdig.
Mutti fuhr zurück nach Hamburg und zu ihrer sehr anstrengenden Arbeit. Sie verdiente ganz gut. aber das brauchte sie auch! Unsere Wohnung war teuer, und sie versuchte, etwas Geld auf die hohe Kante zu legen, erstens als Notgroschen – zweitens als Studienhilfe für mich. Die einzige Ausgabe, die sie nicht hatte, war Umstandskleidung für mich! Tante Hedwigs Nachbarin borgte mir zwei Umstandskleider.
Also hieß es. nur noch zu warten. Die wenige Hausarbeit, die ich machte, fiel mir immer schwerer – ich wuchs und wuchs, und Titinchen machte Ballettübungen in meinem Bauch, oder vielleicht waren es Turnübungen. Jedenfalls bewegte sie sich außerordentlich lebhaft, und besonders zu Zeiten, wo ich am liebsten geschlafen hätte!
Dann kam der dreißigste Dezember. Ich vergesse es nie.
Ich war früh wach und ging in die Küche, um den Frühstückstisch zu decken. Die Katze miaute und wollte hinaus, also machte ich die Hintertür auf – das heißt, ich versuchte es. aber die Tür war blockiert. Ich guckte zum Fenster raus, es war noch ziemlich dunkel, aber als ich die Außenlampe anmachte, sah ich die Bescherung. Es hatte die ganze Nacht geschneit, der Schnee lag kniehoch, und es schneite immer weiter, es schneite und schneite, der Schnee türmte sich zu Bergen!
Es gelang mir. die Tür so weit aufzukriegen, daß ich mich hindurchzwängen konnte, und eben so viel Schnee wegzuschippen. daß die Katze ihr Geschäftchen machen konnte. Dann weckte ich Tante Hedwig, und dann ging es los mit dem Schneeschippen! Wie haben wir gearbeitet! Ja. du erinnerst dich bestimmt an die Schneekatastrophe damals, ihr hattet ja auch die Bescherung hier in Niedersachsen!“
„Wir wohnten damals in Frankfurt“, erklärte ich. „Aber wir sahen ja Bilder im Fernsehen und hörten die Berichte.“
„Es war schrecklich! Nach ein paar Stunden wurde die Stromzufuhr unterbrochen. Die Ölheizung ging nicht, und beim Nachbarn war es ganz schlimm, er hatte viele Kühe, die alle elektrisch gemolken wurden. Es gelang uns und den nächsten Nachbarn, eine Verbindung zwischen den Häusern zustande zu bringen, einen ganz schmalen Pfad zwischen hohen Bergen von Schnee. Und dieser Pfad wurde benutzt, das kann ich dir sagen! Das Furchtbare war, daß die jüngeren Leute nicht melken konnten. Aber die Oma des einen Nachbarn konnte es noch, und Tante Hedwig konnte es. Die beiden alten Frauen arbeiteten, bis sie sich vor
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