Alles kam ganz anders
mich, alle Probleme, alle Schwierigkeiten – mein Kind und ich gehören zusammen!
Weißt du. Elaine… aber Menschenskind, du weinst ja!“
Simone starrte mich verblüfft an. Es stimmte. Dicke Tränen kullerten aus meinen Augen.
„Ich kann nichts dafür – laß mich nur weinen –, erzähle weiter, Simone, bitte, bitte erzähle weiter!“
„Viel gibt es nicht mehr zu erzählen. Es war ein so sonderbares Gefühl, ein großer Friede kam über mich, über uns beide. Wenn ich jetzt zurückdenke, weiß ich, daß ich in diesen Minuten ein erwachsener Mensch wurde. Ich war nicht mehr ein hilfloser Teenager, ich war eine erwachsene Frau, die einen Entschluß gefaßt und eine enorme Verantwortung auf sich genommen hatte. Ich war Mutter.
Das Kind trank sich satt, dann schlief es in meinem Arm ein. Ich lag da und sah mir das kleine Gesichtchen an. Es war so hübsch, glatt und rosig, keine Spur von Runzeln und Falten, wie man es manchmal bei Neugeborenen sieht. Jetzt lächelst du, Elaine, woran denkst du?“
„An etwas, das meine Mutter einmal sagte. Als ich geboren wurde, sah ich aus wie ein geschrumpfter Apfel oder ein kleiner Affe.“
„Ja. das tat Titine nicht. Sie war ein wunderschönes Baby. Und während ich so dalag und sie betrachtete, da stieg ein Glücksgefühl in mir hoch, ein Glücksgefühl so überwältigend, wie ich es nie erlebt hatte. Ich wußte, daß ich eine schwere Zukunft vor mir hatte, wußte, daß es nichts mehr mit der Schule und einer Ausbildung werden würde, aber das alles schrumpfte zusammen zu nichts – ich war glücklich, nur glücklich!
Als Tante Hedwig nach Hause kam und den leeren Babykorb fand, ahnte sie, was passiert war. Sie kam zu mir, und bevor sie ein Wort sagen konnte, sprach ich.
,Tante Hedwig’, sagte ich, und ich hörte, daß meine Stimme einen neuen Klang hatte – fest, entschlossen, erwachsen. ,Tante Hedwig, mein Kind bleibt bei mir. Nie im Leben gebe ich es her. Ich weiß genau, was ich auf mich nehme, ich weiß, daß es tausend Schwierigkeiten geben wird, aber mein Kind bleibt bei mir.’
Dann passierte etwas Merkwürdiges. Tante Hedwig, die praktische, nüchterne Tante Hedwig, kam einen Schritt näher. Sie sah sich uns beide an, und plötzlich beugte sie sich herunter und küßte meine Stirn.
Ja, Elaine, das war die Geschichte. Und jetzt mußt du schlafen. Es ist halb zwei Uhr!“
„Sag bloß schnell, wie deine Mutter reagierte!“
„Sie war zuerst entsetzt, aber als sie Titine sah… ja, da schmolz ihr Herz. Sie war beinahe froh, als ich ihr sagte, daß die Kleine ihren Namen bekommen hatte.“
„Heißt deine Mutter Titine?“
„Nein, sie heißt Katharina. Titine ist nur ein Kosename, der mir selbst einmal so ganz natürlich über die Lippen kam. Meine Mutter nahm noch mehr Extraarbeit an, um uns alle drei über den Berg zu kriegen, und ich fing bald an, alle möglichen Jobs anzunehmen – jede Arbeit war mir recht, wenn ich nur das Kind immer mitnehmen konnte. Und so wird es wohl bleiben, bis Titine in einen Kindergarten oder in ein Tagesheim kommen kann. Nur eins steht fest: Titine bleibt bei mir!“
Simone schwieg. Ich sah sie an, ihr Gesicht war ruhig und entspannt in dem schwachen Licht der Nachttischlampe.
„Simone“, sagte ich. „Nun hätte ich eigentlich eine ganze Menge, das ich dir sagen möchte…“
„Warte bis morgen“, sagte Simone. Sie hob den Arm und machte das Licht aus. „Jetzt wollen wir schlafen. Gute Nacht. Elaine, ich danke dir für einen wunderschönen Tag!“
„Ich habe zu danken“, antwortete ich. „Gute Nacht. Simone.“
Dreifacher Abschied
Simone und ich trafen uns noch zweimal, bevor sie Hannover verlassen mußte. Einmal besuchte ich sie in der Wohnung, wo sie einhütete; und als ihr Job da zu Ende war. besuchte sie uns einen Tag und fuhr dann von uns direkt nach Hamburg. Sie versprach mir hoch und heilig, mich auf dem laufenden zu halten, wo immer sie sich befand und wo ich sie erreichen konnte.
Grand-mères Besuch ging auch zu Ende. Wir schafften es noch, ein paar schöne Ausflüge mit ihr zu machen, in die Heide, wo das Heidekraut jetzt anfing zu blühen, und dann zu dem herrlichen Vogelpark Walsrode und in den Zoo in Hannover.
Und dann feierten wir natürlich zusammen Mamas vierzigsten Geburtstag! Grand-mère verbrachte zwei volle Tage in der Küche, das Resultat war atemberaubend! Ingo kam, wie angekündigt, und brachte sogar Cora mit. was alles natürlich noch lebhafter bei uns machte. Marcus
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