Alles kam ganz anders
habt ihr für morgen auf?“
Diese Stunden halfen mir wirklich. Als die Schule wieder anfing, hatte ich neuen Mut. Eins hatte ich gelernt: Wenn ich etwas nicht verstand, durfte ich auf keinen Fall darüber hinweggehen, ich durfte kein Problem ungelöst hinter mir lassen. Entweder mußte ich es selbst lösen, oder ich mußte Antje fragen, und wenn es nicht anders ging, Dr. Sager um Hilfe bitten.
„Denk daran, Elaine“, hatte er gesagt. „Die Mathematik ist wie eine solide Kette. Man kann nicht ein Glied der Kette überspringen, kein Glied darf brüchig sein, dann platzt nämlich das Ganze. Jedes Kettenglied muß fest sein!“
Ich sah das ein und richtete mich danach.
O ja. Ich würde ein gutes Abitur machen! Ich arbeitete wie ein Kuli, und jetzt schon freute ich mich darauf, meinem Vater das Zeugnis auf den Tisch zu legen!
Nur noch zwei Monate. In zwei Monaten war Weihnachten, in zwei Monaten würden die beiden zurückkommen – Papa und Ingo.
Und wenn ich an Ingos Rückkehr dachte – ja, dann freute ich mich so. daß ich für einen Augenblick sogar meine Zukunftspläne und meinen löblichen Fleiß vergaß!
Eines Tages vergaß ich ihn wieder für einige Minuten. Es kam ein Brief aus Basel! Ausgerechnet aus Basel? Da kannte ich doch keinen Menschen! Ich riß den Brief auf und suchte die Unterschrift: Simone!
„Denk Dir, Elaine, ich habe einen neuen Job, und zwar in der Schweiz! Also, es kam so: Meine Leutchen in Hannover waren anscheinend sehr zufrieden mit meinem Einsatz für Fensterblumen und Wellensittiche. Ich blieb noch ein paar Tage nach der Rückkehr der Familie dort, es gab so viel Wäsche zu bügeln und alles, was so nach einer Reise zu tun ist, außerdem zwei kleine Kinder zu hüten und im Zaum zu halten, das war das Schlimmste. Sie waren ganz aufgeregt nach der Reise. Übrigens – erzählte ich dies nicht in meinem vorigen Brief? Ach nein, der ging so schnell, er war ja nur ein Gruß und ein Dank für die zweihundert Mark für meine Tochter, das Fotomodell!
Ja. also, die Frau in Hannover hat eine Schwester, die in Basel verheiratet ist, und sie wollte so gern ihren Mann auf eine Auslandsreise begleiten. So gern, daß sie – anscheinend auf Empfehlung ihrer Schwester in Hannover – mich anrief und fragte, ob ich für drei Wochen nach Basel kommen wollte, um ihre Kinder, sieben und neun Jahre alt, zu versorgen. Natürlich dürfte ich meine Kleine mitbringen. Der Hin- und Rückflug wurde bezahlt, außerdem ein großzügiges Gehalt – in Schweizer Franken!!! Natürlich sagte ich zu, und hier sitze ich. Das heißt, sitzen ist das, was ich am wenigsten tue. Man hat eigentlich ein ganz reichhaltiges Tagesprogramm, wenn man für vier Personen, darunter drei Kinder, einkaufen, kochen und waschen, die Wohnung in Ordnung halten und vor allem aufpassen soll, daß die lieben Kleinen nicht allzuviel Unfug machen. Sie sind übrigens ganz manierlich. Ich kann mich nicht beklagen. Die Neunjährige hat sich richtig in Titine verliebt und beschäftigt sich viel mit ihr, sie ist so richtig eine kleine Puppenmutti, die es wunderbar findet, eine lebendige Puppe zur Verfügung zu haben!
Augenblicklich schläft die ganze Bande, es ist spätabends, und ich gehe auch gleich ins Bett, ich will nur eben diesen Brief fertigschreiben. Ich möchte dir erzählen, was ich jetzt vorhabe, falls ich nicht nach den drei Wochen hier einen neuen Job finde: Ich werde versuchen, Nachhilfestunden in Französisch zu geben. Die Sprache kann ich, wie Du weißt. Aber die Grammatik!! Ich versuche, abends Grammatik zu lernen, aber ich bin eigentlich so müde nach all meinen Pflichten, daß ich am liebsten mit den Hühnern ins Bett ginge oder sagen wir, mit meinen drei Küken hier! Aber wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich vierzehn Tage fest pauken, denn eins ist mir klar: um eine Sprache zu lernen und zu lehren, muß man nicht nur die Grammatik der fremden Sprache kennen, sondern auch die der Muttersprache. Besonders wenn es um Nachhilfestunden geht. Was nützt es, wenn ich sage, daß es so und so auf französisch heißt, wenn ich nicht erklären kann, warum? Also, wie gesagt, Grammatik pauken und dann eine Zeitungsanzeige Französin gibt Nachhilfestunden. So was wird gut bezahlt. Vielleicht, wenn ich Glück habe, könnte mir das über die Zeit hinweghelfen, bis Titine für den Kindergarten alt genug ist.
Es geht uns also gut, ich quäle mich mit Schwyzerdeutsch ab, und wenn es in den Geschäften gar nicht anders geht, spreche
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