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Alles kam ganz anders

Alles kam ganz anders

Titel: Alles kam ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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denken, daß deine Mutter am Freitag entlassen wird. Weißt du was, ich setze mich am Freitag nachmittag in den Wagen und komme übers Wochenende zu euch, dann kann ich dir jedenfalls ein bißchen helfen und dir die weitere Pflege erklären. Denk daran, daß deine Mutter sich nicht einmal die Nase putzen kann! Sie kann nicht allein zur Toilette gehen, sie kann sich nicht anziehen und nicht waschen, und bei Tisch muß sie gefüttert werden. Weißt du, Kind, jetzt hast du jedenfalls die Gelegenheit, deine ganze Tochterliebe zu beweisen. Was meinst du – die Schule? Ja, das ist so eine Sache. Sprich doch mit deinem Direktor, erkläre ihm die Situation, vielleicht darfst du eine oder zwei Wochen zu Hause bleiben, und dann müssen wir uns nach einer zuverlässigen Hilfe umsehen. Ach, Elaine, was ich noch sagen wollte: du wirst deiner Mutter Kleidung bringen müssen. Denk daran, daß sie wahrscheinlich nicht in Ärmel schlüpfen kann – du mußt ein paar Sachen zurechtmachen, an einer Bluse die Armel auf der Oberseite aufschneiden und Bändchen annähen – und die Träger der Unterwäsche durchschneiden und Knöpfe oder Bändchen anmontieren. Alles muß von unten angezogen werden, verstehst du! Ich rufe dich morgen an, wenn du wieder im Krankenhaus gewesen bist, dann weißt du mehr. Und wie gesagt, ich komme Freitag abend!“
    Die gute Jessica! Ich empfand trotz allem eine kleine, blasse Erleichterung, nachdem ich mit ihr gesprochen hatte.
    Dann setzte ich mich hin, mit Mamas Nähkasten vor mir und mit einer alten Bluse, die man wohl opfern konnte. Ich will, nicht behaupten, daß meine Näherei tadellos wurde, aber jedenfalls würde Mama jetzt die Sachen anziehen können, ohne die Arme zu bewegen.
    Ich bin keine geübte Näherin, und es war spät, bis ich fertig wurde. Ich wurde einmal unterbrochen, es war Dorte, die kam. Sie sollte von ihrer Mutter ausrichten, daß Marcus auch morgen direkt von der Schule zu ihnen kommen dürfte, er würde Mittagessen kriegen und könnte bleiben, bis ich ihn abholte. Auch übermorgen, wenn es nötig wäre!
    Die gute, liebe Frau Geest!
    Sie war so hilfsbereit, Jessica war einmalig – aber mit meinem wirklichen, schrecklichen Problem konnte mir niemand helfen. Wenn Mama nach Hause kam, würde ich nicht zur Schule gehen können. Und wo in aller Welt sollten wir eine erstklassige Hilfe bekommen? Eine Krankenschwester? Ja, sie würde Mama pflegen können, aber man konnte ihr nicht zumuten, den ganzen Haushalt zu machen. Eine Hilfe im Haushalt? Da war ich genausoweit, denn von ihr konnte man nicht verlangen, daß sie eine Pflege übernehmen sollte, die einer Säuglingspflege gleichkam.
    Omi in Norwegen? Unmöglich. Sie war noch berufstätig. Ingos Mutter? Sie war auch berufstätig und von ihrem Verdienst abhängig.
    Nein, ich mußte der Tatsache ins Auge sehen: ich mußte auf unbestimmte Zeit zu Hause bleiben, den Haushalt machen, Einkäufe besorgen, mich um die Tiere kümmern und Tag und Nacht, vierundzwanzig Stunden am Tag auf Mama aufpassen, sie pflegen und ihr bei allem helfen – vom Füttern und Naseputzen bis zum Waschen, Anziehen und Aufs-Klo-Gehen!
    Ich kroch ins Bett und hatte nur noch einen einzigen Wunsch: daß dies alles ein böser Traum sein sollte – daß ich morgen früh von Mamas Stimme geweckt werden würde: „Elainchen, sieben Uhr! Aufstehen, das Kaffeewasser kocht schon!“
    Endlich schlief ich ein – und ich muß zu meiner Schande gestehen: mit Tränen auf beiden Wangen!

Ich werde Krankenpflegerin
     
     
    Jessica behielt recht. Mama sollte am Freitag entlassen werden. Ich erntete Lobesworte für die merkwürdige Garderobe, die ich Mama brachte. So hatte sie jedenfalls etwas anzuziehen – oder sagen wir, etwas, das ihr angezogen werden konnte!
    Ich hatte mit meinem Direktor gesprochen, er war sehr nett und voller Verständnis. Daß ich an diesem Tag ganz unvorbereitet kam, wurde mir verziehen, ich wurde überhaupt nicht aufgerufen. Und was die nächsten paar Wochen betraf – der Direktor dachte mit gerunzelter Stirn nach.
    „Sie sind ja ungeheuer fleißig gewesen diesen Herbst“, sagte er. „Es liegt Ihnen wohl sehr daran, ein gutes Abitur zu machen?“ Ich bestätigte es und erzählte ihm auch, weshalb.
    „Gut“, sagte er. „Zwei Wochen können Sie getrost zu Hause bleiben, das kann ich verantworten. Sollten Sie bis dahin keine Hilfe bekommen haben, müssen wir darüber wieder sprechen. In diesen zwei Wochen können Sie ja versuchen, falls Sie Zeit haben,

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