Alles kam ganz anders
brauchen Sie nicht viel für mich zu tun, es sei denn, ich muß während Elaines Abwesenheit zur Toilette…“
„Kleinigkeit!“ meinte Simone. „Mit solchen Situationen kenne ich mich aus, fragen Sie Titine!“
Ich zeigte Simone, wo Lebensmittel, Wäsche, Reinigungsmittel, Bürsten und Staubsauger zu finden waren. Dann überließ ich ihr und Mama, sich über das Gehalt zu einigen, was schnell und einfach erledigt wurde.
Als ich am folgenden Morgen in den Bus stieg, war ich beinahe in Feststimmung! Während Jessicas Besuch hatte ich mich so gut wie es ging auf die Schule vorbereitet. Mama war versorgt, die Tiere auch. Marcus’ Schulbrote waren – nach seinen eigenen, sehr bestimmten Anweisungen – von Simone zurechtgemacht worden. Also konnte ich mich für die nächsten Stunden seelenruhig und mit dem allerbesten Gewissen um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.
Als ich das Klassenzimmer betrat, war ich direkt gerührt! Die Klassenkameraden fragten alle: „Wie geht es, Elaine?“ – „Hast du überhaupt Schularbeiten machen können?“ – „Wie geht es deiner Mutter?“ Und das Allerschönste war: „Prima, daß du wieder da bist, Elaine!“
Die Unterrichtsstunden gingen ganz gut, die Lücken in meinem Wissen waren nicht allzu groß. Komischerweise machten sie sich bei meinem schwächsten Punkt, der Mathematik, am wenigsten bemerkbar. Oh. der gesegnete Dr. Sager! Ihm, nur ihm allein hatte ich es zu verdanken, daß ich jetzt nicht wie ein hilfloses Fragezeichen dasaß, und das sagte ich auch Antje.
„Ja“, schmunzelte sie. „Ich sage Vati doch immer, er kann so gut erklären, daß sogar seine vierbeinigen Patienten es verstehen können! Ich begreife nicht, daß er nicht Mathematiklehrer geworden ist!“
„Ich bin sehr froh, daß er Tierarzt ist!“ meinte ich.
Ich bedankte mich beim Lateinlehrer, der das Kassettenbandsystem mitgemacht hatte, und ich ging zum Direktor und bedankte mich, daß er mir diese vierzehn Tage freigegeben hatte.
Alles ging also sehr gut, und meine gute Laune stieg. Ich würde es schaffen! Ich wollte es schaffen! Wenn ich auch noch ein paar Wochen lang keine freie Minute haben würde.
Ich hatte eine Einkaufsliste nach Mamas Diktat geschrieben, rannte zu einem Supermarkt und kam schwer beladen nach Hause – zu fertigem Mittagessen, zu einem vor Freude nicht zu bändigenden Hund, zu einer fröhlich lächelnden Mutter, einem mitteilungsbedürftigen Bruder, einem süß plaudernden Kleinkind – und zu der gesegneten Simone, die mich freudig begrüßte.
„Das nenne ich einen Job!“ sagte Simone. „Mitten in einer freundlichen Familie, mit lieben Menschen um mich – wenn bloß alle Jobs so wären!“
„Hast du denn so böse Erfahrungen?“ fragte ich, während ich Mama Fleischbissen in den Mund steckte. Simone war in der gleichen Weise mit ihrer Tochter beschäftigt.
„Sagen wir, verschiedene Erfahrungen“, antwortete Simone. „In Hannover hatte ich natürlich weniger zu tun. Titine und ich waren ja allein, die Wellensittiche und die Fische machten wenig Arbeit – aber ich war so furchtbar allein! Ich kannte ja keinen Menschen da. Ich hatte viel zuviel Zeit zum Grübeln, und manchmal kam mir alles so hoffnungslos vor. Wenn du ahntest, was es für mich bedeutete, dich und deine Grand-mère damals zu treffen – und die Stunde in der Konditorei –, es klingt komisch, aber die Begegnung damals gab mir tatsächlich neuen Mut!“
„Hast du denn nie einen Job in einer Familie gehabt?“ fragte ich und wischte Mamas Mund mit der Serviette ab.
„O doch“, sagte Simone und wischte Titines Mund mit dem Sabberlätzchen. „Einmal war ich .Mädchen für alles’ in einer Familie, deren Hausfrau im Krankenhaus lag, und ich mußte drei Kinder bekochen und versorgen. Es wurde mir gesagt, daß es gar nicht so anstrengend sein würde, denn da war eine Oma, die sich sehr um Haushalt und Kinder kümmerte. Pustekuchen! Was sie tat, das war, mir den ganzen Tag auf der Pelle zu bleiben und alles zu bemängeln, was ich tat. Wenn ich aus der Schublade einen Kochlöffel zum Umrühren holte, nahm sie ihn mir weg und gab mir einen anderen. Wenn ich für die Kinder Brote bestrich, behauptete sie, daß ich zu verschwenderisch mit der Butter war, am folgenden Tag war ich zu geizig. Wenn ich Wurst aufs Brot legte, war das verkehrt, die Kinder wollten Käsebrote haben. Bekamen sie Käsebrote, wollten sie lieber Marmelade. Ach. da war alles verkehrt, Dinge, die ich in drei Minuten hätte
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