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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Quellen im Schwemmgebiet von Flüssen zurück, die während eines Erdbebens vermehrt Wasser ausspeien. Wegener war längst nicht mehr das, was man einen gläubigen Menschen nannte. Aber die Erzählungen seiner Kindheit wollte er sich auch nicht zerstören lassen. Es half nicht, die alten Geschichten ihrer mythologischen Anteile zu berauben. Ebenso wenig ihrer moralischen. Fehlte nur noch, dass Suess mit seiner Untergangstheorie das Versinken von Atlantis erklären wollte.
    Wegener legte das Buch zur Seite. Er würde es hier zurücklassen. So gering sein Gewicht auch sein mochte, es war nicht wert, ihr Fortkommen zu bremsen.
     
    Am dritten Tag hatte er genug von der Jeremiade seines Krankenlagers und stand auf. Er ging noch am Stock, konnte aber die Kameraden begleiten, die einen ersten Transport unternahmen, um das Depot vorzuschieben. Wegener war beeindruckt von den Ingenieursarbeiten, die
sie während seiner Unpässlichkeit unternommen hatten: Mehrere kleinere Risse waren von Grund auf zugeschüttet, einen größeren hatten sie mit zwei mächtigen Eisklötzen überbrückt. An manchen Stellen war der Weg einen halben Meter tief ins Eis hineingehauen, sonst wären die Schlitten auf der steilen Halde wohl ins Rutschen gekommen und in einem der Abgründe verschwunden.
    Sie konnten nur hoffen, auf ihrem Weg nicht durch neuerliche Spaltenbildung geniert zu werden. Das Eis ringsherum knisterte lebhaft.
     
    Anfang Mai hatten sie mithilfe von etlichem »Nu da!« und »Oho«, mit Gloës Gebell und einigen Rippenstößen endlich die ganze Bagage oben auf dem Inlandeis. Koch war noch einmal auf Skiern hinunter nach Kap Stop gefahren, um einen Bericht zu hinterlegen. Es war angenehm zu wissen, dass die Mitglieder einer etwaigen Entsendung – falls die Expedition auf der weiten Reise umkommen sollte –, wussten, wo sie zu suchen hatten.
    Einen weiteren Tag machten sie noch Rast, um die Ladung zu verteilen. Dann gab es nichts mehr zu tun, als die schwächsten Pferde niederzuschießen. Wegener tat es in einer Senke in einigem Abstand zum Zelt und war den ganzen Abend missgelaunt, weil sein bisheriges Reitpferd darunter war. Sie behielten nur fünf: Den Roten, die Dame, den Kavalier, Polaris und Grauni, von ihnen versprachen sie sich den meisten Nutzen. Auch die Pferde waren unruhig über das Ausbleiben ihrer Gefährten. Wie klein sie auf einmal wirkten. Der niedrige Widerrist würde ihnen helfen, unbehelligter durchs Treiben zu kommen.

    Nur Gloë frohlockte. Ihm wurde ein Blutpudding vorgesetzt, der so riesig war, dass selbst dieses immer gierige Tier sich nach einer Weile zusammenrollte, nur ab und an noch mit einer Pfote nach dem verführerischen Napf haschend.

Das Stehenbleiben der Registrieruhren in der Kälte
    Schneefegen. Der Einzug in die große Weite. Endlos wie ein Meer dehnte sich die Fläche vor ihnen aus, und ebenso wie dieses reichte es von Küste zu Küste. Ringsherum berührte es den Himmel. Sie waren die einzigen Schiffer auf diesem Ozean.
    Wenn man von oben das Heer weiß glänzender Schlangen aus Schnee beobachtete, die in rastloser Jagd über den Firn eilten, fühlte man sich wie ein Fakir im Märchen, dem all dies gehorchte. Wegener saß mit gekreuzten Beinen auf den Heusäcken des ersten Schlittens, Gloë auf seinem Schoß, und sah voraus in die stürmische Weite. Endlich waren sie unterwegs. Nun hieß es vorwärts, nur vorwärts, bis hinüber auf die andere Seite, wo ein kleines Notdepot, das Koch im Vorjahr angelegt hatte, auf sie wartete.
    Es war kein freundlicher Grund, auf dem sie reisten. Glashart, vom Sturm gepeitscht, zeigte sich die Oberfläche. In niedrigen Wellen reihten sich Furchen aneinander, vom Wind gemeißelt, niemand würde sie jemals zählen. Die Schlitten tanzten darüber wie schnell segelnde Boote.
    Alles Land war verschwunden, auch die letzten scharfen Gipfel am Südende des Königin-Louise-Landes hatten sie hinter sich gelassen. Sie waren auf hoher See.

    Zwanzig Grad Kälte. Man wusste nicht, was grausamer war, der ewige Marsch gegen den treibenden Schnee, auf dem das Gesicht mit Eis zuwuchs, oder der Aufenthalt in dem für vier Personen zu kleinen Zelt, dessen Wände fingerdick der Reif bedeckte. Und alles, buchstäblich alles darin war mit Treibschnee gefüllt, die Säcke, die Instrumententaschen, ihre Journale. Selbst Gloë, der sich an den Eingang kauern durfte, mussten sie morgens den Schnee vom Fell fegen. Der Himmel mochte wissen, wie sich die Sache entwickelte.
    Jeder

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