Alles muss versteckt sein (German Edition)
bemüht, noch diesen einen kurzen Moment der Anspannung irgendwie zu überstehen. Ich nahm Anton die Trinkflasche ab, griff nach der Flasche Mineralwasser, die neben der Spüle stand, wollte sie öffnen und ihm einfüllen.
Wieder ein Schlag mit der Axt. Die Bilder fluteten meinen Kopf, als wäre in mir eine Schleuse gebrochen: Ich, die Glasflasche in der Hand, wie ich mich zu Anton umdrehe und sie mit voller Wucht und ohne jede Vorwarnung auf seinen kleinen Schädel niedersausen lasse. Ein dumpfer Aufprall, dann ein Knallen, ein Krachen, ein Knacken, die Narbe an seiner Stirn platzt auf, eine triefende rote Wunde, Knochensplitter treten zwischen nass verklebten Haaren hervor, Blut spritzt herum, verteilt sich wie bei einem außer Kontrolle geratenen Rasensprenger über Wände, Decke und Boden der kleinen Küche, über Anton, über Jennifer, über mich selbst. Mit angstvoll aufgerissenen Augen starrt der Junge mich an, ich hole ein weiteres Mal aus, schlage mit der Flasche unter sein Kinn, sodass sein Kopf nach hinten fliegt, ein zweites Knacken für sein gebrochenes Genick, bevor er rückwärts taumelnd gegen die Küchentür schlägt und langsam an ihr entlang nach unten rutscht.
Jetzt knallte es wirklich, die Flasche, die ich vor Schreck losließ, ging zu Boden, zersprang auf den Fliesen in tausend Stücke. Wasser spritze nun wirklich wie bei einem Rasensprenger durch den Raum, ein paar Splitter hüpften durch die Gegend, Anton schlug reflexartig zum Schutz beide Hände vors Gesicht.
Meine Hände, sie hielten jetzt nicht mehr die Mordwaffe, sondern krampften sich ineinander, so fest, dass sich die Nägel meiner Finger ins Fleisch bohrten. Festhalten, festhalten, ratterte es in Panik durch meine Gedanken, halt deine Hände fest! Lass nicht zu, dass sie so etwas tun, dass sie als Nächstes nach einer größeren Scherbe greifen! Anton kann doch nichts dafür, das kann er nicht, er ist doch nicht schuld daran, dass du damals für ihn da warst und nicht für Celia! Tu das nicht, um Himmels willen, tu das nicht!!!
Das Zittern, jetzt war es so stark, dass mein ganzer Körper hin und her zuckte, dazu warf ich meinen Kopf von links nach rechts, um das Grauen, das da gerade in mir tobte, irgendwie loszuwerden. Seltsame Knurrlaute entrangen sich meiner Kehle, gleichzeitig mit einem schrillen Kieksen, wie bei einem Tier, das in eine Falle tritt, das jault und schreit und um sich beißt, sich dadurch die schneidende Drahtschlinge aber immer nur tiefer in die eigenen Wunden treibt.
»Marie!« Jennifers aufgebrachte Stimme holte mich in die Wirklichkeit zurück. Mein Blick sprang hektisch hin und her, zwischen Anton, der mich angstvoll anstarrte, und meiner Kollegin, die mich fassungslos betrachtete. »Was ist denn los? Du bist ja völlig außer dir!« Sekundenlang stand ich einfach nur so da, mitten in den Scherben, kleine Splitter klebten überall an meiner Kleidung. Dann griff ich wortlos nach meiner Tasche und rannte einfach davon.
»Das muss für Sie sehr beängstigend gewesen sein.« Dr. Falkenhagen blickt von seinem Notizbuch auf, in das er bis eben ohne Unterlass geschrieben hat.
»Beängstigend?« Sie bedenkt ihn mit einem Blick, als wäre er hier der Verrückte. »Es war die Hölle! Ich dachte, das sei nun die gerechte Strafe für Celias Tod, jetzt würde ich sie bekommen, jetzt würde ich wirklich … « Dann hält sie inne. »Nein, das stimmt so gar nicht, in diesem Moment habe ich eigentlich überhaupt nichts gedacht. Ich war schlicht in Panik, denn das, was sich da vor meinem inneren Auge abgespielt hatte, war so unglaublich real, als hätte ich Anton tatsächlich mit der Flasche niedergeschlagen. Nein, gedacht habe ich nichts. Außer vielleicht, dass ich jetzt verrückt bin, wahnsinnig, vollkommen durchgeknallt. Dass ich den Verstand verlieren würde, einfach so.«
»Und was haben Sie getan, nachdem Sie aus der Kita gerannt sind?«
»Das Einzige, was mir in diesem Moment einfiel: Ich lief zu meinem Auto und fuhr auf dem direkten Weg zu Christopher.«
»Ausgerechnet zu ihrem Exmann?«
Marie nickt. »Er war der Einzige, dem ich vertraute. So sehr, dass ich ihm erzählen konnte, was passiert war. Ihm konnte ich gestehen, was mit mir los war.«
»Sie haben gehofft, dass er Ihnen helfen kann?«
Wieder ein Nicken. »In guten wie in schlechten Zeiten. Ich habe einfach gehofft, dass das trotz allem immer noch gilt. Oder vielleicht habe ich es nicht gehofft, aber ich habe in jedem Fall darum gebetet.«
Es war
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