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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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nicht Christopher, der mir antwortete, nachdem ich an seiner Tür geklingelt hatte. Es war die Stimme einer Frau. »Hallo? Wer ist da?« Ich zögerte.
    »Hier ist Marie«, wollte ich sagen. »Ist Christopher zu Hause?« Das wollte ich sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Dafür war ich zu überrascht, irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass sich eine Frau melden würde. Eher schon damit, dass um diese Zeit am Nachmittag überhaupt niemand da war, aber dann hätte ich eben gewartet, bis Christopher aufgetaucht wäre, denn als ich es zuerst per Handy in seinem Büro versucht hatte, hatte man mir gesagt, dass er für heute schon Feierabend gemacht hätte.
    »Hallo? Ist da jemand? Melden Sie sich doch!« Aber ich blieb stumm. Ein paar Momente später sagte mir ein knackendes Geräusch, dass der Hörer der Gegensprechanlage aufgelegt worden war.
    »Christopher war also nicht zu Hause?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und wer war die Frau?«
    »Das weiß ich auch nicht. Vielleicht seine Freundin, mit der es ja angeblich vorbei war. Wobei ich das auch nicht genau sagen konnte, denn seit der Trennung hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen, gut möglich also, dass es sie wieder in seinem Leben gab oder er eine neue Partnerin hatte. In jedem Fall war es jemand, der einfach so an die Tür ging, das reichte mir in diesem Moment, um zu wissen, dass ich unmöglich mit ihm reden konnte. Wie denn? In meiner Verfassung, total aufgewühlt und hysterisch, schneite ich unangemeldet einfach bei ihm herein, heulend, verzweifelt, komplett neben der Spur?«
    »Denken Sie, er hätte Sie weggeschickt?«
    »Keine Ahnung«, sagt Marie. »Ich glaube es nicht. Aber das spielte in diesem Moment keine Rolle, für mich stand einfach nur fest, dass ich hier keine Zuflucht finden würde.«
    »Und dann?«
    »Dann?« Sie merkt, wie sich ihre Mundwinkel zu einem bitteren Lächeln verziehen. »Dann habe ich gemacht, was mir in meiner Lage noch übrig blieb. Ich bin zu meiner Mutter gefahren.«
    »Mama!« Als sie mir öffnete, fiel ich ihr sofort schluchzend um den Hals. Sie erwiderte meine Umarmung, minutenlang standen wir einfach nur so da, ich weinte und weinte und weinte.
    »Kind, was ist denn?«, fragte sie nach einer Weile, aber ich antwortete ihr nicht, konnte ihr gar nicht antworten, sondern mich nur weiter an ihrem warmen Körper festkrallen und weinen, hoffen, dass meine Mama mich halten und nicht wieder loslassen würde, so lange, bis alles wieder gut wäre. »Bitte, Marie, du machst mir Angst. Was ist denn los?« Meine Mutter versteifte sich, wurde hart wie ein Brett und rückte merklich von mir ab. »Jetzt erzähl endlich, was los ist!«, sagte sie, nachdem sie sich gewaltsam aus meiner Umklammerung befreit hatte.
    »Ich, ich … « Ich stotterte.
    »Komm erst mal rein, das muss ja wirklich nicht im Hausflur sein.« Wie befohlen folgte ich ihr in die Wohnung, setzte mich an den Küchentisch, auf dem ein Heft mit Kreuzworträtseln lag, eines davon war halb gelöst. »Willst du was trinken?«, fragte sie, aber ich lehnte ab. »Dann erzähl!«
    »Ich«, fing ich erneut an, doch ich fand die Worte nicht mehr. Zu monströs, zu unglaublich erschien mir plötzlich das, was ich Mama eben noch hatte anvertrauen wollen. Wie sollte ich das erzählen, wie? Wie die Angst und die Scham überwinden, wie die richtigen Worte wählen für das, was ich doch selbst nicht begriff?
    »Wenn du nicht mit mir sprichst, kann ich dir auch nicht helfen.« Sie klang nun so ungeduldig wie die Frau an der Gegensprechanlage. Unauffällig schielte sie auf ihr halb gelöstes Kreuzworträtsel.
    »Ich glaube, ich werde verrückt.« Nun war er raus, dieser Satz, zusammen mit neuen Tränen.
    »Was?«
    »Verrückt! Ich drehe durch, mit mir passiert etwas Schreckliches.«
    »Etwas Schreckliches?«
    »Ja.« Dann erzählte ich, ließ alles heraus, berichtete von den Schreckensszenarien in meinem Kopf, den Gewalt- und Mordfantasien, von dem unwiderstehlichen Drang, der mich schon drei Mal heimgesucht hatte, und von der Panik davor, diesem Drang nachzugeben, mich nicht mehr unter Kontrolle zu haben, als sei ich von einer bösen Macht besessen. Einer bösen Macht, die in mir hauste, die mich beherrschen und zu Dingen treiben wollte, die schlimmer als der schlimmste Albtraum waren. Die Babys. Und dann Anton, den ich töten wollte, brutal mit einer Flasche niederschlagen.
    »Was ist das?«, fragte ich verzweifelt, hoffend, dass meine Mutter einen Rat wusste. »Ich begreife das

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