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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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sich wieder zu ihrem Schrank, wühlt in einem Schubfach herum, fördert einen kleinen viereckigen Gegenstand und noch irgendetwas, das Marie nicht erkennen kann, zutage. »Hiermit geht’s.« Sie zeigt Marie, was sie da in der Hand hält, eine 9-Volt-Batterie und ein Stück Draht. »Pass auf!« Wieder hat sich ihr Tonfall verändert, jetzt klingt sie wie ein vorwitziger Lausejunge, der gerade einen Streich ausheckt.
    Sie pflanzt sich im Schneidersitz auf ihr Bett, holt eine Zigarette aus der Schachtel und hantiert dann mit der Batterie herum, drückt die zwei Enden des Drahts auf die beiden Pole, das eine links, das andere rechts. Es dauert eine Weile, dann beginnt das Metall zu glühen. Hannah steckt sich die Kippe zwischen die Lippen, beugt sich hinunter, hält die Spitze an den Draht und fängt an zu saugen, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, dann brennt die Zigarette. »Siehst du?« Mit Siegesgeste streckt Hannah Marie die qualmende Zigarette entgegen. »Man muss nur wissen, wie!«
    »Ja«, antwortet Marie, »das muss man wohl.«
    »Willst du auch eine?«
    »Lieber nicht. Das ist hier doch verboten, und sie werden es morgen sicher riechen.«
    Hannah lacht. »Das ist hier verboten!«, äfft sie Marie mit verstellter Stimme nach, dann lacht sie noch einmal. »Hast recht! Sie könnten uns ja einsperren, wenn sie uns beim Rauchen erwischen!«
    Nun muss Marie auch kichern. »Okay, ich nehm gern eine, danke!«
    Hannah steht auf, kommt zu ihr rüber, drückt ihr eine Zigarette in die Hand und reicht ihr ihre brennende, damit Marie die Kippe an der Glut entzünden kann. Dann setzt das Mädchen sich direkt neben sie aufs Bett. Eben war sie noch voller Feindseligkeit, nun verhält sie sich auf einmal so, als wären sie einfach beste Freundinnen, die nachts heimlich zusammen rauchen.
    »Das tut gut«, stellt Marie fest, während sie den Qualm Richtung Decke pustet. Direkt über der Tür hängt ein Rauchmelder, möglich, dass er gleich pfeifend losgeht. Aber Hannah hat recht, was können sie hier auf der Station schon tun?
    »Ja«, stimmt Hannah ihr zu. »Fehlt nur noch was zu trinken.« Rotwein, denkt Marie. Sekt und Rotwein hat sie getrunken, an ihrem letzten Abend in Freiheit, bei dieser Feier, auf der sie mit Patrick war, auf der sie mit ihm gelacht und getanzt hatte. Jahre scheint das zurückzuliegen. Sie versucht sich daran zu erinnern, wie Wein überhaupt schmeckt. Und wie man tanzt, das weiß sie auch nicht mehr, alles in ihr scheint viel zu schwer dafür.
    »Tut mir leid«, unterbricht Hannah ihre Gedanken.
    »Was tut dir leid?«
    »Dass ich dich eben so angepampt habe.«
    »Macht nichts.«
    »Tut mir trotzdem leid.«
    »Von welchen Kindern hast du gesprochen?«, wagt Marie einen erneuten Vorstoß, jetzt, da sie nebeneinander sitzen, rauchend und kichernd, eine eingeschworene Gemeinschaft wie im Mädcheninternat oder auf Klassenfahrt.
    »Ach, gar nichts.« Hannah seufzt, nimmt einen weiteren Zug von ihrer Zigarette, die schon bis fast auf den Filter runtergebrannt ist. Bevor sie ganz erlischt, holt sie eine neue aus der Packung und zündet sie an. Mittlerweile ist die Luft in dem kleinen Zimmer schon diesig vor lauter Qualm. Wenn sie so weitermachen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Rauchmelder losgeht.
    »Gut, du musst ja nicht darüber reden.«
    »Du würdest das nicht verstehen.«
    »Was würde ich nicht verstehen?« Gleichzeitig denkt sie: Ist das hier ein Ort, an dem man überhaupt etwas verstehen, etwas begreifen kann?
    »Was mit mir los ist.«
    »Dasselbe könnte ich auch von mir behaupten.«
    »Kannst es ja mal probieren!« Hannah sieht sie an, nickt ihr auffordernd zu. »Ich bin ganz Ohr.«
    »O, nein!«, erwidert Marie lächelnd. »Ich hab dich zuerst gefragt!«
    Das Mädchen zuckt mit den Schultern. »Ich bin multipel.« Ihr Tonfall ist gelangweilt. Oder resigniert, das lässt sich nur schwer unterscheiden. »Aber das hat dir bestimmt schon jemand erzählt.«
    »Ja, Susanne hat’s mal erwähnt«, meint Marie. »Aber ich verstehe nicht ganz, was das heißt.«
    »Mein Ich ist aufgeteilt. Wir sind viele.«
    »Viele?«
    »Ungefähr zehn.«
    »Zehn?«
    »Ich sag doch, dass es schwer zu verstehen ist. Ich selbst habe er ja lange Zeit nicht mal begriffen, dazu musste ich viele, viele Stunden mit vielen, vielen Ärzten reden und jede Menge Fachbücher lesen. Bis ich es selbst glauben konnte, hat es fast ewig gedauert.« Sie nimmt einen weiteren Zug, starrt dabei an die Decke. »Für die meisten klingt meine

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