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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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und riss es herum, sodass wir gegen einen Baum knallten. Ich schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, zwischen seine Beine, trat ihm mit einem Fuß gegen den Kopf, ohne dass ich gewusst hätte, wie diese Verrenkung im engen Auto überhaupt möglich wäre, im Geiste war sie es einfach, in meiner Vorstellung war das alles ganz leicht, als wäre ich eine Ninja-Kriegerin.
    Erstaunlicherweise bereiteten mir meine Gedanken keine Angst, ich hatte mich gut genug gegen sie gewappnet, sie oft genug ins Lächerliche gezogen, als dass sie mich jetzt ernsthaft beunruhigen könnten. Sie waren lästig, erschwerten es mir, Patrick wirklich zuzuhören, aber das war auch schon alles. Ich war stolz auf mich, richtig stolz, dass der Kobold in meinem Kopf mich diesmal nicht unterkriegen, mich diesmal nicht in die Flucht schlagen oder in Panik versetzen konnte. Meine Gedanken waren wie ein Hintergrundgeräusch; ein leises Rauschen, das anfangs stört, aber je länger es andauert, desto mehr gewöhnt man sich daran, bis man es fast gar nicht mehr wahrnimmt.
    So vergingen die nächsten Tage beinahe reibungslos. Patrick und ich verbrachten viel Zeit miteinander, gingen aus, unternahmen Ausflüge an die Elbe, ans Meer oder raus ins Alte Land, trafen uns abends mit Vera und Felix, die den Vorfall im Garten kein einziges Mal erwähnten.
    Vor allem Vera war nett zu mir, vermutlich hatte sie wegen des Joints ein schlechtes Gewissen, genauso wie nach dem Unfall mit dem Fahrrad. Tatsächlich nahm ich es ihr keine Sekunde lang übel, dafür gab es ja auch keinen Grund, sie hatte schließlich nicht ahnen können, was sie mir damit »angetan« hatte. Und so war ich auch so nett zu ihr, wie ich nur konnte, denn während sie sich unausgesprochen, aber deutlich spürbar vorwarf, für meine Aussetzer verantwortlich zu sein, warf ich mir im Gegenzug vor, sie überhaupt in diese Situation gebracht zu haben. Eine Freundschaft, die sich ein Stück weit aus gegenseitigen Schuldgefühlen entwickelte, jede von uns wollte an der anderen etwas gutmachen. Eine Beziehung auf Gegenseitigkeit, die mir wirklich guttat. Anders als mit Elli sprach ich mit Vera nicht über meine Ängste und Sorgen, das tat ich ja mit keinem – mit ihr zusammen war ich fast immer fröhlich und lachte, sie war für mich wie die kleine Schwester, die ich nie hatte.
    Überhaupt war es nicht nur meine Liebe zu Patrick, die diese Zeit für mich zu einer ganz besonderen machte, zusammen mit seinen Geschwistern fühlte ich mich wie in eine neue Familie aufgenommen. So ging ich nicht nur bei Patrick ein und aus, auch das schöne Stadthaus am Klosterstern, in dem Vera und Felix zusammen lebten, wurde zu einem zweiten Zuhause für mich. Die Verbundenheit der Geschwister, um die ich sie als Einzelkind anfangs manchmal sogar ein bisschen beneidet hatte, jetzt genoss ich sie in vollen Zügen.
    So etwas kannte ich von zu Hause nicht, dass eine Familie wie Pech und Schwefel zusammenhielt. Wenn meine Mutter früher manchmal erzählt hatte, wie schrecklich es mit so vielen Geschwistern war – bei Patrick, Felix und Vera war von einem solchen Schrecken nichts zu spüren. Natürlich gab es auch bei ihnen so etwas wie Eifersucht, vor allem bei Felix war mir das ja schon ein paar Mal aufgefallen, wenn es um seine Karriere als Autor ging. Aber trotzdem war da immer ein Grundgefühl von Liebe, besonders von den Brüdern zu ihrer Schwester und umgekehrt. Einer so großen Liebe, dass meine Mutter darüber vermutlich den Kopf geschüttelt hätte, dass drei erwachsene Menschen so sehr aneinander hingen. Ich schüttelte nicht den Kopf darüber, ich fühlte mich wie der vierte Musketier, aufgenommen in einer Gemeinschaft, die seine neue Heimat war. Es war der schönste Sommer meines Lebens.
    Ich wurde mutiger, so mutig, dass ich schließlich sogar einwilligte, bei Patrick zu übernachten oder ihn bei mir schlafen zu lassen.
    Das war ein großer Schritt für mich, der mich gleichermaßen freute wie ängstigte. Denn schon beim ersten Mal, als ich abends neben Patrick im Bett lag und er mich im Arm hielt, merkte ich, wie meine Kopfdämonen sich in Stellung brachten; wie sie nur darauf warteten, dass Patrick einschlummern würde und mir dadurch ausgeliefert war.
    »Klappe halten!«, fuhr ich die bösen Kobolde innerlich an, während ich Patricks Atem lauschte und meine gesamte Willenskraft darauf lenkte, ihm nicht das Gesicht zu zerkratzen. Kein Auge tat ich zu in der ersten gemeinsamen Nacht, in der zweiten, dritten und

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