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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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quält. »Wer bin ich, Hannah?« Das Mädchen schweigt einen Moment, lässt seinen Blick scheinbar ziellos durch den Raum wandern, dann sieht es Marie wieder direkt an, ganz direkt mit seinen großen blauen Puppenaugen.
    »Luzy«, sagt Hannah.
    »Luzy?«, fragt Marie irritiert. »Ich bin Luzy?«
    Hannah kichert. »Nein, du bist nicht Luzy. Luzy, das bin ich !« Nun ist Marie so verwirrt, dass sie rein gar nichts versteht von dem, was Hannah da sagt. Luzy? Wer in aller Welt ist Luzy? Plötzlich fallen ihr Hannahs Worte wieder ein, das, was sie gesagt hat neulich Nacht, als sie heimlich miteinander geraucht haben. Mein Ich ist aufgeteilt. Wir sind viele. Und: Die Kinder.
    »Bist du«, will Marie wissen, »eins der Kinder?« Das Kind nickt.
    »Und du heißt also Luzy?«
    »Ja, ich bin Luzy.«
    »Welche Kinder sind da noch? Du hast gesagt, dass ihr mehrere seid.«
    »Außer mir gibt es noch Luca.« Tatsächlich spricht Hannah jetzt mit heller Kleinmädchenstimme. Es war Marie vorher gar nicht aufgefallen, dass es nicht Hannah ist, die schon die ganze Zeit mit ihr redet, sondern jemand anders.
    »Und du weißt also, wer ich bin?«
    Das Mädchen nickt. »Ja. Luca und ich haben dich gesehen. Beim Mittagessen und dann noch unten im Käfig, als ich dich angesprochen habe. Und wir haben gewusst, dass man dir vertrauen kann.«
    Marie schluckt. Dann sagt sie: »Ich habe jemanden umgebracht!«
    »Hannah auch. Gleich zwei sogar, Mama und Papa.«
    »Aber du«, Marie verbessert sich, »Hannah hatte einen Grund dafür! Einen guten, einen triftigen Grund!«
    »Du nicht?« Marie denkt kurz nach. Aber eigentlich muss sie das gar nicht tun, sie weiß ja, dass es keinen Grund gab, Patrick zu töten. Welchen sollte es auch gegeben haben? Sie hat ihn geliebt. Sie schüttelt den Kopf.
    »Dann ist es jemand anders gewesen, nicht du. Jedenfalls nicht die Marie, die ich kenne. Komm«, das Kind rückt näher an Marie heran, legt sich auf die Seite, bettet seinen Kopf auf Maries Schoß und schließt die Augen. Marie widersteht dem Impuls, Hannah oder Luzy oder wer auch immer da gerade in diesem schmächtigen Körper steckt, von sich wegzuschieben und aufzustehen. Stattdessen hebt sie eine Hand und beginnt, Hannah durchs Haar zu streichen. »Erzähl mir was.«
    »Was soll ich denn erzählen?«, fragt Marie.
    »Irgendetwas. Eine Geschichte. Ich höre so gern schöne Geschichten.« Wir haben gewusst, dass man dir vertrauen kann. Vertrauen. Marie kann es kaum glauben. Auf ihrem Schoß liegt der Kopf eines Kindes, eines Kindes, das ihr vertraut . Ein schönes Gefühl. Genauso schön, wie es war, als Patrick ihr das sagte. Dass er ihr vertraut und dass er niemals Angst haben würde, dass sie ihm etwas antun könnte.
    Veras Coq au Vin schmeckte hervorragend, das Hähnchenfleisch war so zart, dass es auf der Zunge zerging. Wir saßen zu fünft an der festlich gedeckten Tafel in Veras und Felix’ »Salon«, wie die beiden ihr Esszimmer nannten, in der Mitte des Tisches ein riesiger Römertopf, aus dem es köstlich duftete.
    »Grandios!«, sagte Patricks Verleger Rudolph Meissner anerkennend, während er sein Silberbesteck auf dem Teller ablegte. »So gut habe ich noch in keinem Sternerestaurant gegessen.«
    »Danke!« Vera war sichtlich geschmeichelt. »Aber warten Sie ab, bis Sie mein Dessert probiert haben. Mousse von Dreierlei Schokolade mit einer Mangosauce.« Sie stand auf und machte sich daran, das Geschirr abzuräumen. Ich erhob mich ebenfalls, um ihr zu helfen. Als ich nach Patricks Teller griff, formten seine Lippen ein tonloses »Danke« und dann zwei Küsse, die er in meine und Veras Richtung verteilte. Er strahlte regelrecht, offenbar war es ihm sehr wichtig, dass Rudolph Meissner sich rundum wohlfühlte.
    Nicht so wohl fühlte sich Felix, das war ihm deutlich anzumerken. Den Abend über hatte er bisher kaum etwas gesagt, was untypisch für ihn war. Stattdessen war er damit beschäftigt, einen neuen Rekord im Sturztrinken aufzustellen. Allein zwei Gläser Champagner als Aperitif und das mittlerweile vierte Glas Weißwein hatte ich mitgezählt, aber wenigstens wurde er nicht aggressiv, sondern spielte geistesabwesend mit seinem Glas herum, das schon wieder fast leer war.
    Die Begrüßung zwischen ihm und dem Verleger war förmlich ausgefallen. Seine abgelehnten Arbeiten waren bisher nicht zur Sprache gekommen, und ich hoffte für uns alle, dass es so blieb.
    »Denkst du, wir sollten mal eine Runde Kaffee anbieten?«, fragte ich Vera, als wir

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