Alles muss versteckt sein (German Edition)
dir zu helfen, werde ich tun. Das bin ich dir schuldig.«
»Schuldig?«
Er nickt. »Nicht wegen der Sache … Du weißt schon, weil damals alles so unglücklich gelaufen ist. Aber ich bin immer noch dein Freund, das bin ich immer gewesen.«
»Danke«, sagt Marie, dann schließt sie wieder die Augen, dämmert fast ein bisschen weg.
»Frau Neumann?« Als sie blinzelnd aufblickt, sieht sie direkt in Dr. Falkenhagens Gesicht. »Es wird Zeit für Ihre nächste Sitzung. Haben Sie Lust? Oder wollen Sie heute lieber pausieren?« Marie dreht sich zu Christopher um.
»Geh nur«, sagt er, »das ist wichtig.«
»Okay.« Sie stehen auf, folgen dem Arzt vom Käfig in die Klinik.
»Ich fahr dann mal nach Hause«, sagt Maries Exmann, als sie die Treppe erreichen, die hinauf zur Station führt. Geradeaus geht es zur Sicherheitsschleuse und zum Ausgang.
»Oder willst du vielleicht mitkommen?«, fragt Marie. Das Gefühl, jemanden bei sich zu haben, jemanden, der sie beschützt, sie will es sich noch ein wenig länger bewahren.
»Mitkommen?«
»Zu meiner Sitzung, meine ich.«
»Geht das denn?« Beide sehen Jan Falkenhagen an. Der Arzt überlegt nicht lange.
»Warum nicht?«, meint er. »Wenn es Sie nicht stört, habe ich sicher nichts dagegen.«
»Dann soll Christopher dabei sein«, beschließt Marie. Keine Mördergrube mehr.
11
I n den nächsten Tagen, in denen ich mich zu Hause verkroch, nicht ans Telefon ging und auch nicht die Tür öffnete, wenn jemand klingelte (Patrick? Oder doch nur die Müllabfuhr?) – ja nicht einmal ins Internet wagte ich mich –, konnte ich nur diesen einen Satz denken, den ich schon so oft im Forum gelesen hatte: Ich schäme mich! Wieder und wieder durchlebte ich die Szene in meinem Innern. Hörte meine Stimme, die aus dem Handy kam und all diese schrecklichen Dinge sagte, sah die verwirrten, entsetzten Gesichter der Anwesenden, wie ich einfach weggerannt bin, in Panik und ohne ein Wort der Erklärung. Nie wieder würde ich einem von ihnen unter die Augen treten können.
Eine ganze Woche dauerte es, bis ich mich traute, wenigstens Elli zu schreiben, was passiert war. Als ich mein privates Postfach im Forum öffnete, fand ich bereits fünf Nachrichten von ihr. Angefangen von einer Antwort auf meine letzte Mail, die ich ihr an dem Vormittag geschickt hatte, bevor ich Vera am Theater abholte. Jede ihrer Nachrichten klang besorgter, eindringlicher. Bis sie schließlich in ihrer fünften Mail schrieb, sie hätte langsam wirklich Angst, dass mir etwas zugestoßen sei. Da hatte sie recht, mir war etwas zugestoßen, in der Tat war es das. Ich antwortete ihr und berichtete von den katastrophalen Ereignissen beim Abendessen mit Patrick, Felix, Vera und Rudolph Meissner.
Offenbar war Elli gerade online, denn kaum hatte ich meine Nachricht verschickt, ging unten rechts im Bildschirm ein Chatfenster auf: »Wie hat Patrick reagiert?« Nur diese eine Frage, mehr schrieb sie nicht. Kein mitfühlendes Wort, nur einfach: »Wie hat Patrick reagiert?«
Ich lehnte mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und überlegte. Natürlich hatte er genauso schockiert ausgesehen wie die anderen. Oder vielleicht nicht schockiert, aber zumindest doch verwirrt. Und sonst? Gar nichts sonst, musste ich mir selbst eingestehen. Ich war ja sofort weggelaufen, er hatte überhaupt nicht reagieren können . Danach hatte er versucht, mich anzurufen, aber weder war ich ans Telefon gegangen, noch hatte ich seine Nachrichten abgehört.
»Gar nicht«, tippte ich wahrheitsgemäß zurück. »Ich bin weggerannt, seitdem bin ich nicht mehr ans Telefon gegangen. Aber er hat versucht, mich zu erreichen, und mir auf die Mailbox gesprochen.«
»Was?«, schrieb Elli. »Was hat er gesagt?« Ratlos saß ich vor meinem Computer und dachte nach, was ich Elli antworten sollte. Dass ich sogar zu feige war, Patricks Nachrichten abzuhören? Weil ich befürchtete, dass er mich dazu aufforderte, das zu tun, was ich ohnehin vorhatte: mich ja nie wieder bei ihm blicken zu lassen, mich von ihm und seiner Familie fernzuhalten? Während meine Finger noch unschlüssig auf der Tastatur ruhten, hier und da einen Buchstaben niederdrückten, um ihn gleich wieder zu löschen, trudelte mit einem »Bling« eine neue Nachricht im Chat-Fenster ein: »Hör es dir an. Sofort!«
Eine klare Anweisung. Sollte ich ihr folgen? Sollte ich wirklich mein Handy nehmen und die Mailbox einschalten?
Ich erinnerte mich an einen Brief, den mir im Alter von dreizehn oder
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