Alles muss versteckt sein (German Edition)
vierzehn Jahren einmal eine Lehrerin mitgegeben hatte für meine Eltern. Einen Monat lang hatte ich ihn ungeöffnet in meinem Ranzen aufbewahrt aus lauter Angst, dass er die Mitteilung enthielt, meine Versetzung sei aufgrund meiner schlechten Leistungen in Englisch gefährdet. Einen Monat lang quälten mich mein schlechtes Gewissen und die Angst vor dem Brief, ganze vier Wochen lang brach mir jedes Mal der Schweiß aus, wenn meine Mutter wissen wollte, ob es denn »etwas Neues aus der Schule« gab. Und dann kam der Elternsprechtag, den ich erwartete wie das Jüngste Gericht.
Umso größer die Überraschung, als meine Mutter sehr zufrieden heimkehrte
»Wie war es?«, wollte ich ängstlich wissen.
»Sehr gut«, erwiderte meine Mutter. »Es freut mich, dass deine Leistungen in Englisch so viel besser geworden sind, deine Lehrerin hat vor allem deinen mündlichen Einsatz gelobt.«
»Was?« Ich war fassungslos.
»Ja, aber das weißt du doch.« Mama schüttelte verständnislos den Kopf. »Du hättest es aber gar nicht so spannend machen müssen, deine Lehrerin hat mir gesagt, dass sie dir schon vor Wochen einen Brief mitgegeben hat, in dem das alles steht.«
Bling! Eine weitere Nachricht riss mich aus meinen Gedanken. »Was ist jetzt? Ich warte!«
Ich holte tief Luft, stand auf und ging raus in den Flur, in dem mein Handy seit Tagen ausgeschaltet auf dem kleinen Garderobentisch neben dem Eingang lag.
»Okay, dann wollen wir mal hören!«, sprach ich mir selbst Mut zu und schaltete es ein. Keine Minute später fing mein Telefon an zu piepen, zeigte sieben Nachrichten auf der Mailbox an. Ich nahm das Handy ans Ohr und hörte sie mir an. Vor Erleichterung hätte ich fast losgeheult. Sie klangen nicht wütend, sondern traurig und zärtlich: »Marie, ich kann dich nicht erreichen, du gehst nicht ans Telefon, und wenn ich bei dir zu Hause klingele, machst du mir nicht auf. Bitte melde dich doch bei mir! Ich verstehe einfach nicht, was los ist! Aber egal, was es ist, sprich mit mir. Bitte, vertrau mir und ruf mich an oder komm von mir aus vorbei. Bitte, Marie, ich liebe dich!« Ein tiefes Seufzen, dann fügte er hinzu: »Und ich vermisse dich ganz schrecklich, tu mir das bitte nicht an!«
So schnell ich konnte, warf ich Telefon, Portemonnaie und meinen Schlüssel in meine Handtasche und wollte schon aus der Tür stürmen, bis ich im letzten Moment an Elli dachte, die gerade vor ihrem Computer saß und auf eine Antwort wartete. Eilig lief ich zurück zu meinem Schreibtisch und tippte los: »Alles gut, er sagt, er liebt und vermisst mich, ich fahre jetzt sofort zu ihm hin. Schreibe dir später!«
»Super, ich freu mich!«, schrieb sie zurück. Ich nahm mir nicht einmal mehr die Zeit, mein Notebook runterzufahren. Ich wollte nur noch eins: zu Patrick, so schnell es ging!
Patrick sagte kein Wort, als er mir die Tür öffnete. Er sah mich nur kurz überrascht an und nahm mich in den Arm. Es waren sicher ein paar Minuten, die wir so in seiner Wohnungstür standen. Einmal hörte ich jemanden im Treppenhaus vorbeigehen, aber weder mich noch Patrick störte es. Er hielt mich fest, ich hielt ihn fest, und ich konnte mich nicht erinnern, jemals so erleichtert gewesen zu sein.
»Marie«, flüsterte er mir ins Ohr, als wir uns nach einer Ewigkeit voneinander lösten und er mich in die Wohnung zog. »Wo warst du denn? Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich war schon ganz verzweifelt!«
»Es tut mir leid. Ich war auch verzweifelt.« Ich hob meinen Kopf und sah ihn unsicher an. Jetzt kam der schwierigste Teil, das wusste ich.
»Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was da neulich Abend passiert ist«, sagte er. »Aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen, das kann ich noch immer nicht. Und dass du auf einmal so verschwunden warst, hat mich fast verrückt gemacht.«
»Es tut mir leid«, wiederholte ich noch einmal. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte es ihm einfach: »Ich bin sehr krank, Patrick. Das hätte ich dir schon früher sagen müssen, aber ich habe mich einfach nicht getraut.« Sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck von zärtlich in besorgt.
»Was ist denn mit dir?«
»Das muss ich dir in Ruhe erzählen.«
Und das tat ich dann auch. Endlich hatte ich den Mut, ihm die volle Wahrheit zu gestehen. Ohne irgendetwas zu beschönigen oder zurückzuhalten, selbst wenn ich beim Sprechen ins Stocken geriet, was immer wieder geschah.
Ich erzählte ihm nicht nur von meinen Gewaltfantasien gegenüber
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