Alles nur aus Liebe
stelle?”
“Überhaupt nicht”, flötete Mrs. Hitchcock. “Es hat mir so leid getan, sie gehen zu lassen, aber wir haben beschlossen, unseren Sohn für den Sommer in ein Internat zu geben, während wir auf Reisen gehen. Er liebt sie abgöttisch. Aber das tun wir alle. Sie hat versprochen, wieder zu uns zurückzukommen, wenn wir sie brauchen.”
“Könnten Sie sie mir beschreiben?”
“Was für eine seltsame Frage!” Es folgte eine Pause. “Nun, sie ist etwa mittelgroß, schlank, hat braune Haare und braune Augen. Sie ist ein sehr freier Geist - wir haben einiges von ihr lernen können, was Spontaneität betrifft. Was möchten Sie sonst noch wissen?”
Mike seufzte. Bei einer solchen Beschreibung konnte es sich wirklich nur um die Annie Kramer handeln, die im Augenblick im Haushalt der Matthews’ wohnte.
Die unkonventionelle Annie, die Kleider trug, die schon vor sechzig Jahren unmodern waren, und die alle liebten.
Er bedankte sich bei Annies früherer Arbeitgeberin und überflog noch einmal die Empfehlungen, die allesamt betonten, wie sehr sie Kinder liebte. Und doch hatte er das sonderbare Gefühl, daß etwas sehr Persönliches die Beziehung zwischen Annie Kramer und Joey und seinem Bruder bestimmte.
“Ich verstehe gar nicht, warum Mike so sicher ist, daß mit mir etwas nicht stimmt”, sagte Annie bei einer Tasse Tee mit der Köchin. “Er beobachtet mich mit Argusaugen.”
“Also, wenn Sie Mike davon abbringen wollen, dann stellen Sie es falsch an.”
Annie starrte die Köchin überrascht an. “Wieso?” “Um ehrlich zu sein … ich glaube, es liegt an Ihrem Aussehen.” Clara Swenson lächelte. “Mit diesen altmodischen Kleidern und Ihrer Frisur erregen Sie natürlich seine Neugier. Ich habe mich selbst auch schon darüber gewundert.”
“Du lieber Himmel.” Annie lachte auf. “ich sehe doch nicht anders aus als die meisten arbeitenden Frauen.”
“Das zeigt nur, wie falsch Sie sich einschätzen”, erwiderte Clara. “Mir ist aufgefallen, wie Mike Sie ansieht. Es ist, als versuche er, Sie genauer einzuschätzen”, fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu. “Meiner Meinung nach würde er nicht noch einmal hinschauen, wenn Sie wie der Rest der Frauen Ihres Alters aussehen würden.”
“Nicht?” Annie war verwirrt und überraschenderweise ein wenig verletzt.
“Er glaubt nur, daß er nicht interessiert ist. Beobachten Sie doch mal Sharon, wenn sie in Mikes Nähe ist. Nichts wünscht sie sich sehnlicher, als daß er sie bemerkt, aber er gönnt ihr keinen weiteren Blick. Sie ist jung und ein hübsches Ding, daran kann es also nicht liegen. Und was ihn betrifft: Er sieht gut genug aus, um jede Frau für sich zu interessieren, die ihm gefällt.”
Clara wandte sich ab, nahm den pfeifenden Wasserkessel vom Herd und goß neuen Tee auf. “Es ist beinahe so, als hätte er den Frauen abgeschworen. Das heißt, bislang war es so. Aber nun, wo ich Sie zwei zusammen erlebe, sehe ich es anders.” Sie lächelte Annie an. “Seit Ihrer Ankunft ist er .ein anderer Mann.”
“Anderer Mann?” fragte Annie. “Ich weiß ja nicht, wie er vorher war, aber mir kommt er tyrannisch und mißtrauisch vor, und das von der ersten Minute an.
Nicht, daß es mir etwas ausmacht. Die Jungen sind die einzigen männlichen Wesen, die mir wichtig sind.”
Das stimmt natürlich nicht genau, gestand sie sich stumm ein, und erinnerte sich an ihre Reaktion auf seinen muskulösen Körper, als er direkt neben ihr gestanden hatte. Was war an ihm bloß so anziehend? Lag es vielleicht daran, daß er sich abweisend verhielt? Vielleicht sehnte sie sich danach, daß er sie beachtete?
Jemanden zu spielen, der man gar nicht war, war schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte.
“Wir werden ja sehen.” Mrs. Swenson stellte die Teekanne auf den Tisch,
“Möchten Sie nicht noch eine Tasse Tee mit mir trinken, Annie? Es entspannt und hilft einem, klar zu denken. Und so, wie Sie aussehen, könnten Sie von beidem ein wenig gebrauchen.”
Annie seufzte und hielt ihr die leere Tasse hin. “Ich habe außer diesem Kleid nur noch zwei weitere mitgebracht. Falls Sie wegen Mike recht haben, was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun, um mein Aussehen zu ändern, Clara?”
Die Köchin trank einen Schluck, ehe sie antwortete. “Also, Sie sollten einfach an einem Ihrer freien Nachmittage losgehen und sich ein paar hübsche neue Kleider kaufen. Oder welche von zu Haus mitbringen. Je schneller, desto besser”, empfahl sie.
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