Alles oder nichts
und verlangte dann, daß ich auf Reisen gehe. Dazu war ich selbstverständlich gern bereit. Als sie erklärte, sie wolle mitfahren, war mir das auch recht. Sie liebt es, einen jungen Mann als Gesellschafter um sich zu haben, der für ihre Bequemlichkeit sorgt. Nach einiger Zeit verschwieg sie dann den Leuten, die wir unterwegs kennenlernten, daß ich ihr Neffe bin ...Nun, von diesem Zeitpunkt an wurde die Reise furchtbar für mich, ich durfte nicht wagen, von ihrer Seite zu weichen. Ich habe dabei allerdings einen großen Teil der Welt gesehen: Südamerika, den Orient, Europa. Aber ich habe auch meinen Preis dafür gezahlt. Ich mußte Tante Colette fast ununterbrochen Gesellschaft leisten. Nur manchmal, nur wenn sie schon früh zu Bett gegangen war, konnte ich mich fortschleichen und mir das ansehen, worauf ich Wert legte. Als wir dann von der Reise zurückkamen, wünschte sie, daß ich noch für ein paar Monate bei ihr im Hause wohnen sollte, weil sie der Meinung war, ich müßte mich erholen. Ich hatte mir in den Tropen eine Dysenterie geholt, die mir sehr zu schaffen machte. Dr. Devarest empfahl mir, eine Weile auszuspannen und viel in die Sonne und an die frische Luft zu gehen. Schließlich fand ich mich mit meinem Zustand und mit dem Aufenthalt in Tante Colettes Haus ab. Auch Dr. Devarest hatte gern junge Leute um sich. Ich glaube, daß Tante Colette ihn unsagbar langweilte.«
Timley unterbrach seinen Bericht, um tief Luft zu schöpfen. »Nun kennen Sie meine Situation. Sie ist scheußlich. Manchmal komme ich mir wie ein Schuft vor, aber ich tauge nun einmal nicht zu etwas anderem. Bei meiner Erziehung wurde das Hauptgewicht auf kulturelle Dinge gelegt. Aber glauben Sie ja nicht, daß ich mich immer stillschweigend damit abgefunden hätte. Ich habe midh umgetan und nach einer Arbeit gesucht. Bei einer Flugzeugfabrik habe ich mich um eine Stellung beworben. Man hat mir gesagt, meine Bewerbung würde geprüft und ich würde Nachricht erhalten. Doch dann haben sie festgestellt, daß ich bei Verwandten lebe und allgemein als so eine Art Schmarotzer angesehen werde. Daran ist es wohl dann auch gescheitert. Natürlich mußte ich vor Tante Colette geheimhalten, daß ich nach einer Arbeit gesucht habe. - Wahrscheinlich bin ich wirklich nicht mehr als ein Taugenichts. Jedenfalls habe ich mich entschlossen, mich mit meiner Lage abzufinden. Sie hat mir versprochen, daß sie mich in ihrem Testament bedenken wird. Sie meint, ich leide immer noch unter den Nachwirkungen der Dysenterie und sei nicht kräftig genug, um mir meinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Sie wolle mir aber gern helfen, wenn ich erst einmal völlig wiederhergestellt sei. Das könnte sie auch, wenn sie ihre Beziehungen spielen läßt, oder richtiger, wenn sie Dr. Devarest veranlaßt hätte, seine Verbindungen einzuschalten. Aber sie wird nie zugeben, daß ich mich völlig erholt habe. Es hieß jedesmal: Noch ein paar Wochen Ruhe und Sonne, dann wollen wir weitersehen.«
»Ihre Tante Colette hat noch eine ganze Reihe von Jahren vor sich«, sagte ich, um ihn zum Weitersprechen zu veranlassen.
Er setzte zu einer Antwort an, schwieg aber dann.
»Noch fünfundzwanzig oder dreißig Jahre weiter, und Sie sind nicht mehr als ein abgetakelter Gigolo, von dem niemand etwas wissen will«, fuhr ich fort, um es ihm leichter zu machen, das auszusprechen, was ihm sichtlich auf der Zunge brannte.
Er reagierte auch sofort. »Tante Colette wird nicht mehr länger als zwei oder drei Jahre leben. Sie hat ein Herzleiden, das sich ständig verschlimmert. Dr. Devarest wußte es, hat es ihr aber nie gesagt. Er war der Meinung, daß sie eines Tages ganz plötzlich sterben werde und daß es richtiger sei, sie ihr Leben führen zu lassen, wie sie es wünscht, als sie über ihren Zustand aufzuklären und sie damit zu quälen.«
»Woher wissen Sie das? Von Dr. Devarest?«
Timley schüttelte den Kopf. »Nein, von Nadine. Dr. Devarest hat es ihr gesagt, und ich habe es dann von ihr erfahren. Wahrscheinlich war Nadine nicht berechtigt, es mir zu sagen, aber - nun, sie wußte, wie mir zumute war. Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen, Lam, aber Tante Colette ist fürchterlich eifersüchtig. Vielleicht sollte ich lieber davon schweigen, aber sie verträgt es nicht, daß ich mich für Frauen interessiere. Sie will überall im Mittelpunkt stehen, alles soll sich nur um sie drehen. Sie können sich alles, was ich Ihnen sage, bestätigen lassen. Fragen Sie
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