Alles paletti
Führerschein.
Ich bin davor noch kaum Auto gefahren, verstehst du? Aber Chaim hat jemanden gebraucht, der fährt. Ich habe am Anfang vor Angst gezittert mit dem riesigen Lastwagen in Manhattan, und die Wände vom Holland oder Lincoln Tunnel hab ich ausgiebig abgeschliffen. Diese New Yorker, wenn sie schon einen Tunnel graben, warum machen sie ihn nicht ein bisschen breiter? Aber danach ist es leicht.«
»Vielleicht produzierst du wegen diesem Führerschein die ganze Zeit Unfälle und Bußgelder«, grinste Izzi.
»Ich hab’s dir doch gesagt, das kommt alles von Ihm, gelobt sei Er. Das ist, weil ich das Bild von einem nackten Mädchen angeschaut habe.« Zwei Tage davor, als sie im Lager vorbeigekommen waren, hatte Izzi in einem von Harrys indischen Pornomagazinen geblättert, und Schlomi hatte ihm über die Schulter gespäht.
»Aber ich hab diese Zeitschrift auch angeschaut. Und Harry auch«, sagte Izzi.
»Für Gerechte und Gläubige ist es schwerer. Kennst du den Spruch - dem Bösen ergeht es gut, dem Gerechten schlecht?«
»Was für einen Wert hat das dann? Ich hab mich an einer nackten Inderin in allen möglichen Positionen erfreut und keine Strafe bekommen, und du hast für eine Sekunde ein Stückchen Hintern gesehen, und peng!, sechsundsiebzig Dollar Strafe vom Gelobt-sei-Er, stellvertretend von einem New Yorker Verkehrspolizisten. Was soll uns das sagen?«
»Du verstehst das nicht. Diese Welt ist nichts. Ein kleines Komma gegenüber der kommenden Welt. Dir ist es lieber, eine Sekunde zu genießen und dich danach ein ewiges Leben in der Hölle zu quälen? Ich finde das traurig. Warum kommst du nicht mit Jonsy nächstes Wochenende zum Seminar? Hunderte junge Juden aus ganz Amerika, echt was Besonderes.«
Als Jonsy mittags eintraf, organisierte er die Arbeit, und alles begann sich zügig einzuspielen. Er stand auf dem Lastwagen, Izzi schleppte die Kisten vom Haus zum Wagen, und Schlomi hätschelte weiter Lisa und Karl, hörte sich ihre Bitten an, beruhigte sie, klebte die grünen Etiketten mit den Nummern auf und notierte alle Details im Inventarverzeichnis. Er war gerade in der Küche an der Arbeit, als Jonsy hereinkam, um sich eine Flasche mit Wasser zu füllen.
Jonsy fragte: »Sag mal, Schlomi, weißt du, wie hoch hier überhaupt der Voranschlag ist? Ich habe Chaim gestern gefragt, aber der Irre hat mir nicht mal geantwortet.«
»Dreieinhalb«, erwiderte Schlomi.
Jonsy sah ihn erschüttert an. Nach einer langen Schweigepause sagte er schließlich: »Ich würde ja sagen, ich glaub’s nicht, aber von dem dreckigen Hundesohn glaube ich inzwischen alles.« Als er wieder hinausging, beobachtete ihn Schlomi durchs Fenster. Er sah, wie sich Jonsy draußen neben den Lastwagen setzte, in der Kälte, einen Schluck aus der Flasche trank und stumm auf den Boden starrte.
Der Tag vergeht. Du lädst ein paar Sachen auf, trägst ein paar Sachen herum. Du sitzt im Haus von fremden Menschen, du steigst in den Lastwagen. Du springst in den Dreck, isst Sonnenblumenkerne und trinkst Gatorade, du hörst von Schlomi vom Gelobt-sei-Er - hauptsächlich gute Dinge.
Es war Jonsy, der auf die Bilder zurückkam. Bei einer der Gelegenheiten, als er ins Haus kam, um zu pinkeln, sagte er: »Also komm, diese Bilder schauen nach was Besonderem aus. Nicht dass ich was von Bildern verstehe, aber siehst du, auf dem da steht neunzehnhundertelf. Das ist uralt.« Zu Lisa sagte er: »Ihr habt eine riesige Sammlung.«
Lisa verzog ihr Gesicht: »Äh … wir sind große Kunstliebhaber. Haben im Laufe der Jahre gekauft. Ein guter Freund von uns ist Maler, er hat uns viel gegeben.«
»Aber da sind alle möglichen Bilder«, sagte Jonsy. »Ein Teil davon ist sehr alt.«
»Ja, na gut, einen Teil haben wir aus Europa mitgebracht. Ein Teil gehörte meinen Eltern.«
»Lisa!« Das war Karl, aus dem Kellergeschoss.
»Entschuldigt, ich muss Karl helfen«, sagte sie und stieg die Treppe hinunter.
Jonsy blickte ihrem Rücken nach und legte die Stirn in Falten.
»Los, Jonsy«, drängte Schlomi, »an die Arbeit. Ich und Izzi sind seit heute früh hier, und das Haus steht uns bis hier. Komm, wir machen fertig und hauen ab.«
»Moment, Moment, was ist das für ein Akzent bei ihr? Wisst ihr, wo sie herkommen?«
»Aus Deutschland, dreiundvierzig«, antwortete Schlomi. »Sie hat es uns vorher gesagt. Warum?«
»Sind sie Juden? Wie heißen sie?«
»Keine Juden«, erwiderte Schlomi. »Warum?«
»Ich weiß nicht, die Sache mit den Bildern klingt
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