Alles paletti
Afghanistanabsolvent. Psych stand schon damals, vor zwanzig Jahren, im Dienst der amerikanischen Regierung, und als er Anfang der Neunzigerjahre in die Vereinigten Staaten übersiedelte, schloss er sich Whites Abteilung an. Neben ihm sitzt Monty Cohen, aus Cornelias Mannschaft, der vor knapp zehn Minuten als Geländeagent für die Operation Zatoka - der Codename für den
Observierungseinsatz der kriminellen Gruppe um Vladimir Berkovich - abgestellt worden ist.
»Was ziehst du für ein Gesicht, Monty?«, fragt seine Chefin. Cornelia White hat honigfarbenes Haar, das zu beiden Seiten ihres Gesichts bis auf die Schultern herabwallt. Ihre Augen sind groß und braun, und sie trägt stets sündteure Kostüme. Die halbe Organisation ist in sie verliebt, doch sie ist glücklich mit einem ehemaligen NBA-Spieler verheiratet. Der Einzige, der ihr innerhalb des FBI jemals näherkam, ist Psych, doch das war vor langer Zeit, das war in Russland, als alle viel jünger und schöner und wilder waren und die dringende Notwendigkeit bestand, lokale Agenten zu rekrutieren. Beide haben es längst geschafft, ihre kurze Affäre zu vergessen, und falls sie sich manchmal daran erinnern, wissen sie das für sich zu behalten.
»Ich ziehe kein Gesicht«, erwidert Monty. »Ich möchte hiermit nur sagen, am Freitag ist Sederabend, und da muss ich in New York sein. Bei der Familie.«
Psych grinst in sich hinein.
»Und alles, was ich sagen möchte«, entgegnet Cornelia, »ist, dass die Möglichkeit besteht, dass du eventuell arbeiten musst. Ich mache mir einen Vermerk, dass du diesen Abend freihaben willst. Komm, wir belassen es einstweilen dabei und schauen, was passiert. Wo waren wir stehengeblieben?« Sie hebt den Kopf und sieht sich um.
In Cornelia Whites Besprechungsraum hängt ein riesiges Bild, das fast die ganze Wand einnimmt, von der sibirischen Steppe. Man sieht Schnee, Hunde, die einen Schlitten ziehen, darauf sitzt ein Mensch, in einen schweren Pelzmantel gehüllt. Man sieht Bäume mit schneebeladenen Kronen, eine kleine Hütte in der Ecke. Jedes Mal, wenn Psych den Raum betritt, erschauert
er bei dem Anblick. Monty hasst es. Wenn er hereinkommt, beschwert er sich regelmäßig: »Hättet ihr nicht was aus der Karibik hinhängen können? Mit ein wenig Sonne? Ein bisschen was Fröhliches?« Und Psych erwidert immer: »Sei still, das ist der schönste Ort auf Erden.«
»Also was haben wir über diesen Berkovich?«, fragt Monty.
»Okay«, sagt Psych und steht auf, um etwas an die Tafel zu zeichnen. Er ist von ziemlich kleiner Statur, aber breit, mit schwarzen Haaren. Sein Englisch ist perfekt. Monty Cohen mag ihn nicht.
»Wir nennen diesen Einsatz Operation Zatoka. Zatoka ist eine Hafenstadt ein paar Dutzend Meilen südlich von Odessa, in der Ukraine, am Schwarzen Meer. Eine Art triste kleine Schwester von Odessa. Auch hier, wie in Odessa, gab es eine jüdische Gemeinde. Auch von hier brachen Emigranten in die USA auf, vor allem nach Brighton Beach, New York, aber auch nach Fort Lee, New Jersey, Philadelphia und sonst wohin, seit Anfang des Jahrhunderts bis heute. Die letzte große Auswanderungswelle fand zu Beginn dieses Jahrzehnts statt, in der Folge des Falls des Kommunismus und der relativen Öffnung der Grenzen.«
»Erzähl uns mal etwas, das wir nicht wissen«, schlägt Monty vor. Die Gerüche aus dem koreanischen Restaurant dringen manchmal bis in den Keller vor, besonders zu den Essenszeiten, wenn die Serviceboten pausenlos ein- und ausgehen. Monty schnüffelt in der Luft: »Riecht ihr das auch?«
»Hier ist was, das du nicht weißt«, übergeht Psych die rhetorische Frage. »Zatoka ist auch der Name des Restaurants von Vladimir Berkovich, einem der stolzen Söhne der Stadt, der zweiundneunzig über Israel und Deutschland in die Vereinigten Staaten gelangte. Sein Lokal an der 7. Straße in Brighton
Beach hat ein festes Publikum von russischen und ukrainischen Emigranten. Borschtsch, Kaviar und Wodka. Billard und der ganze Rest. Aber wie einige andere Lokalitäten in dem Viertel ist es nur eine Fassade für das Mafiaunternehmen, das er in den letzten Jahren leitet. Es ist weder die größte noch die gefährlichste Gruppe, auf die wir gestoßen sind, aber sie hat ihre Vorzüge. Unsere Freunde in Brighton Beach haben uns informiert, dass sie etwas Großes planen.«
»Etwas Großes«, wiederholte Cornelia langsam und trommelte mit einem Bleistift auf den Tisch. »Wann werden sie mal was Kleines planen? Entschuldige, fahr
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