Alles paletti
konnte er jetzt nicht in Bulgarien sein, mit einem guten Drink und einer netten Bulgarin neben sich im Spa sitzen?
Er sagte zu Pozailov: »Wenn du in der Früh immer noch nichts von ihnen gehört hast, dann schnapp dir Popeye und den Nissan und mach dich sofort auf die Suche.«
Vladimir Berkovich wurde 1951, zwei Jahre vor Stalins Tod, geboren. Als Kind boxte er. Er war Zatoka-Champion bis zum Alter von elf Jahren und Dritter in der Odessa-Meisterschaft. Mit dreizehn verkündeten seine Eltern, dass die Familie nach Israel auswandern werde. Vladimir war verwirrt, denn ihm war nie bekannt gewesen, dass er Jude war. Er hatte gedacht,
ein Jude sei einfach jemand mit mehr Geld als andere, einer, der im Sommer nach Odessa in die Ferien fuhr, auf der Promenade spazieren ging, sich am Strand bräunte, die Komiker genoss.
Die Familie Berkovich ließ sich in Haifa nieder, in einer ruhigen Straße am Karmel mit Aussicht aufs Meer. Vladimirs Vater arbeitete am Hafen als Buchhalter. Seine Mutter arbeitete bei der Busgesellschaft Egged, auch sie war Buchhalterin. Mit achtzehn wurde er zum Militär eingezogen und versuchte, Marineoffizier zu werden. Er bestand den Einstufungstest, zerbrach aber an der Rekrutenzeit. Er erzählte gern, er sei nicht angenommen worden, weil er die Intelligenztests nicht bestanden habe, doch das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er scheiterte in der Grundausbildung an den körperlichen und psychischen Kraftanforderungen. Er verbrachte drei Jahre auf einem Raketenboot, einen Teil davon während des Jom-Kippur-Kriegs.
Nach seiner Entlassung aus der Armee arbeitete er in Haifa. Innerhalb weniger Jahre schaffte er im Schnellverfahren seinen Aufstieg in der Haifaer Catering-Industrie. Er begann bei der Firma »Bon-Ta’am-Events«, wo er rasch vom Tellerwäscher in den Service befördert wurde und innerhalb eines halben Jahres zum Veranstaltungsmanager. Eineinhalb Jahre nach seiner Militärzeit gründete er das »Schwarzmeer-Catering«, auf den Trümmern der inzwischen pleitegegangenen Firma »Bon-Ta’am-Events«. Das Geschäft florierte, von zwei Veranstaltungen pro Woche - der Durchschnitt bei »Bon-Ta’am« am Ende - kletterte »Schwarzmeer« auf zwölf bis vierzehn Einsätze wöchentlich, anfangs nur im Haifaer Bereich, dann jedoch schnell im Umland und darüber hinaus. Die Leute in der Branche warnten Vladimir, als er versuchte, in Netania und Tel
Aviv in den Markt einzusteigen, Gebiete, in denen Konkurrenz extrem hart und von starken lokalen Firmen beherrscht war, doch er ließ sich nicht abschrecken und hatte sich sehr bald seinen Anteil an diesen Märkten gesichert. »Schwarzmeer-Catering« begann, Millionen israelische Schekel abzuwerfen, und an seiner Spitze stand ein blutjunger Mann von nur dreiundzwanzig Jahren.
Vladimir hatte großen Appetit. Nachdem er sich Tel Aviv einverleibt hatte, blickte er weiter nach vorn und begriff, dass »vorn« außerhalb Israels hieß. Er suchte sich die zu jener Zeit ungewöhnlichste Richtung aus: Osteuropa. Er schätzte, dass die jüdischen Gemeinden Moskaus und Warschaus reich waren und häufig feierten, quasi im genussfreudigen Nabel der Armut ringsherum lagen. Eine koschere Catering-Firma würde die riesige Lücke füllen, die dort bestand, dachte er. Doch offenbar war er zu optimistisch, oder er hatte einfach nicht den langen Atem für einen schrittweisen, allmählichen Geschäftsaufbau, wie ihn die Märkte zu jener Zeit in Polen und Russland erforderten. Vladimir investierte, gründete lokale Firmenfilialen, stellte Personal ein, kaufte Ausstattungen und transferierte Kochkurse. Doch das Unternehmen kam nicht in die Gänge.
In diesem Stadium, mit gut vierundzwanzig, drei Jahre nachdem er das Raketenboot verlassen hatte, hätte sich Vladimir mit seinem israelischen Geschäft begnügen können, das hohe Gewinne abwarf, trotz des Fehlschlags im Ausland. Doch es reichte ihm. Er hatte genug von Israel, hatte die Nase voll von den Juden. Sein offizieller Vorwand, als er Israel den Rücken kehrte, war: »Es gibt zu viele Juden in Israel, zu viele Diskussionen.« Er verkaufte das »Schwarzmeer-Catering« für eine stattliche Summe an einen Konkurrenten aus Netania und startete nach Ostberlin durch, auf Nimmerwiedersehen.
1976 übersiedelte er nach Hamburg. Wie beim Catering bewies Vladimir auch hier seine Fähigkeit, sich in ein Geschäft von unten her einzuklinken und nach oben zu schrauben. Nur war es diesmal das Glücksspiel. Es kam ganz zufällig
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