Alles Sense
löste den Knoten am Hinterkopf und schüttelte weißes Haar frei.
»Du tanzt doch, Bill Tür, nicht wahr?«
ICH BIN BERÜHMT DAFÜR, FRAU FLINKWERT.
Unter der Plane nickte der erste Fiedler den anderen Musikanten zu, preßte sich die Fiedel unters Kinn und stampfte mit dem Fuß auf.
»Undeins! Undzwei! Undeins-zwei-drei-vier…«
Man stelle sich eine Landschaft vor, über der die orangefarbene Sichel des Mondes glüht. Tief unten brennt ein Feuer in der Nacht.
Es begann mit besonders lebhaften Tänzen: Quadrille, Reel und Karussell. Wenn die Tänzer Fackeln getragen hätten, so wären ihre Leuchtspuren in der Lage gewesen, die Konturen überaus komplexer topographischer Phänomene zu bilden. Solche Tänze veranlassen selbst völlig normale Leute, Bemerkungen wie »Heißa-juchuh!« und »Dumdidel-dum!« zu rufen, ohne deshalb verlegen zu werden.
Als man die ersten Opfer fortgetragen hatte, gingen die Überlebenden zu Polka, Mazurka, Foxtrott und anderen Verrenkungsmethoden über. Leute bildeten eine Gasse, und andere Leute sprangen hindurch – folkloristische Erinnerungen an Exekutionen. Bei manchen Tänzen formte man einen Kreis, und darin kamen folkloristische Erinnerungen an Epidemien zum Ausdruck.
Die ganze Zeit über schwebte ein Paar über den Tanzboden, als gäbe es keinen Morgen.
Der erste Fiedler rang sich allmählich zu folgender Erkenntnis durch: Wenn er eine Pause einlegte, um Luft zu holen, löste sich ein Schemen aus dem allgemeinen Durcheinander, und kurz darauf erklang eine Stimme dicht neben seinem Ohr:
DU WIRST WEITERSPIELEN, UND ZWAR SOFORT.
Als er einmal mehr ermüdete und nach Luft schnappte, landete ein faustgroßer Diamant dicht vor ihm auf dem Boden. Eine kleine Gestalt wankte auf ihn zu und verkündete:
»Wenn deine Jungs nicht weiterspielen, William Spund, so sorge ich persönlich dafür, daß ihr diesen Abend für den Rest eures Lebens bedauert.«
Und die kleine Person kehrte ins Gedränge hinab – mit einem so großen Diamanten konnte man nicht nur ein Königreich kaufen, sondern gleich mehrere. Der Musiker trat einen halben Schritt vor und schob den Kristall möglichst unauffällig nach hinten.
»Brauchst wohl mehr Ellenbogenfreiheit, wie?« fragte der Trommler.
»Sei still und spiel!«
Der Fiedler merkte: Am Ende seiner Finger entstanden Töne, von denen sein Gehirn gar nichts ahnte. Der Trommler und der Flötenspieler spürten es ebenfalls. Musik strömte von irgendwo heran. Sie spielten nicht, sondern wurden gespielt.
ES WIRD ZEIT, EINEN TANZ ZU BEGINNEN.
»Darrr umm -ta-tumm-tumm«, murmelte der Fiedler. Schweiß tropfte ihm vom Kinn, als seine Finger eine ihm unbekannte Melodie schufen.
Die Tänzer waren unsicher und wußten nicht recht, welche Schritte der neue Takt verlangte. Doch ein Paar bewegte sich mit energischer Entschlossenheit, duckte sich wie zum Sprung und streckte die Arme nach vorn, dem Bugspriet einer zornigen Galeone gleich. Am Ende der Tanzfläche drehten sich die beiden Gestalten in einem jähen Chaos aus Gliedmaßen, das einer Herausforderung für normale Anatomie gleichkam. Erneut streckten sie die Arme und beugten sich vor, pflügten einmal mehr durch die Menge.
»Wie nennt man diesen Tanz?«
TANGO.
»Kann man dafür ins Gefängnis kommen?«
ICH GLAUBE NICHT.
»Erstaunlich.«
Die Musik wechselte.
»Den kenne ich: der Stierkampftanz aus Quirm! Oläh!«
MIT MILCH? übersetzte Tod.
Plötzlich ertönte ein rasendes Klappern, und zwar genau im Takt der Musik.
»Wer hat die Rumbakugeln besorgt?«
Tod lächelte.
RUMBAKUGELN? SO ETWAS BRAUCHE ICH NICHT.
Und dann war es jetzt.
Der Mond hing als geisterhaftes Abbild seiner selbst am einen Horizont. Am anderen zeichnete sich bereits das ferne Glühen eines heranrückenden Tages ab.
Sie verließen die Tanzfläche.
Was auch immer dem Orchester während der vergangenen Stunden Kraft gegeben hatte – jetzt verebbte der Nachschub allmählich. Die Musikanten sahen sich an. Der Fiedler namens Spund drehte langsam den Kopf und sah zum Diamanten – er war nach wie vor da.
Der Trommler versuchte, sich etwas Leben in die Handgelenke zu massieren.
Spund blickte hilflos zu den erschöpften Tänzern.
»Na schön…«, murmelte er und hob noch einmal die Fiedel.
Frau Flinkwert und ihr Begleiter standen im Dunst, der das Morgengrauen über die Felder begleitete.
Tod lauschte den Klängen vom Festplatz. Sie erschienen vertraut und erinnerten ihn an zwei Holzfiguren, die durch die Zeit
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