Alles Sense
Haus.
Er sagte nichts, als die alte Dame seinen Teller mit Haferbrei füllte und Sahne hinzugab. Aber schließlich gab er der Neugier nach: Er wußte nicht recht, wie er die Fragen formulieren sollte, doch er brauchte dringend Antworten.
FRAU FLINKWERT?
»Ja?«
WAS IST DAS, IN DER NACHT, WENN MAN DINGE SIEHT, DIE GAR NICHT EXISTIEREN?
Sie blieb stehen, den Haferbreitopf in der einen Hand, die Schöpfkelle in der anderen.
»Meinst du das Träumen?« erwiderte sie.
HABE ICH GETRÄUMT?
»Geschieht das bei dir zum erstenmal? Ich dachte immer, alle Leute träumen.«
VON DINGEN, DIE SICH EREIGNEN WERDEN?
»Das sind Vorahnungen. Ich habe nie an sie geglaubt. Wie dem auch sei: Willst du etwa behaupten, daß du nicht weißt, was Träume sind?«
NEIN. NEIN, DAS LIEGT MIR FERN. ICH WEISS, WAS TRÄUME SIND. ES IST NUR…
»Was besorgt dich so sehr, Bill?«
MIR IST PLÖTZLICH KLARGEWORDEN, DASS WIR STERBEN WERDEN.
Frau Flinkwert musterte ihren Gehilfen nachdenklich.
»Nun, jeder stirbt irgendwann«, sagte sie. »Davon hast du geträumt? Oh, dann kann ich mir vorstellen, wie du dich fühlst. Irgendwann einmal spüren wir es alle. An deiner Stelle würde ich mir deshalb keine Sorgen machen. Es ist am besten, zu arbeiten und sich zu freuen – so lautet mein Motto.«
ABER UNS STEHT EIN ENDE BEVOR!
»Oh, ich weiß nicht«, sagte Frau Flinkwert. »Ich schätze, es kommt ganz darauf an, was für ein Leben man geführt hat.«
WIE BITTE?
»Bist du religiös?«
MEINST DU ETWA, NACH DEM TOD GESCHIEHT DAS, WORAN MAN IMMER GEGLAUBT HAT?
»Das wäre doch nicht schlecht, oder?« erwiderte Frau Flinkwert heiter.
ABER WENN MAN WIE ICH AN… AN NICHTS glaubt?
»Wir sind heute morgen ein wenig niedergeschlagen, wie?« fragte Frau Flinkwert. »Ich schlage vor, du ißt jetzt deinen Haferbrei. Tut dir bestimmt gut. Es heißt, der ist gut für den Knochenwuchs.«
Bill Tür sah auf seinen Teller hinab.
KANN ICH NOCH ETWAS MEHR HABEN?
Bill Tür verbrachte den Morgen damit, Holz zu hacken. Es war eine herrlich monotone Tätigkeit.
Müde werden – darauf kam es an. In der vergangenen Nacht hatte er nicht zum erstenmal geschlafen, aber bisher war er immer so müde gewesen, daß Träume ausblieben. Er wollte nicht mehr träumen, und deshalb… Die Axt hob und senkte sich in einem beständigen Rhythmus wie das Pendel einer Uhr.
Nein, nicht ausgerechnet dieser Vergleich…
Als Bill die Küche betrat, blubberte es in mehreren Töpfen auf dem Herd.
ES RIECHT GUT, sagte er und streckte die Hand nach dem ersten zitternden Deckel aus.
Frau Flinkwert wirbelte herum.
»Nein! Rühr das Zeug nicht an! Es ist für die Ratten bestimmt.«
MÜSSEN RATTEN GEFÜTTERT WERDEN?
»Oh, sie sind durchaus in der Lage, selbst Futter zu finden. Genau aus diesem Grund geben wir ihnen etwas vor der Ernte. Ein paar Tropfen hiervon – und die Ratten stellen kein Problem mehr dar.«
Es dauerte eine Weile, bis Bill Tür zwei und zwei zusammenzählte, doch als es geschah, erfolgte die Addition mit der gleichen Wucht wie die Paarung von Megalithen.
DAS IST GIFT?
»Spickel-Essenz, mit Hafermehl gemischt. Ein todsicheres Mittel.«
UND ES SORGT DAFÜR, DASS DIE RATTEN STERBEN?
»Und ob. Die Biester fallen sofort um und strecken alle viere von sich.« Frau Flinkwert fügte hinzu: »Für uns gibt es Brot und Käse. Ich möchte nicht mehrmals am Tag kochen, und heute abend gibt’s Hühnchen. Apropos… Komm mit.«
Sie nahm ein Hackbeil, verließ die Küche und schritt über den Hof. Der Hahn Cyrill stand auf dem Misthaufen und beobachtete die alte Dame argwöhnisch. Sein Harem aus dicken und schon recht betagten Hühnern ließ das Scharren im Staub sein und lief Frau Flinkwert entgegen. Einige von ihnen schwankten hin und her und schienen ihre Bewegungen den Gänsen abgeschaut zu haben.
Frau Flinkwert bückte sich und griff nach einem ordentlichen Exemplar. Es beobachtete Bill aus glänzenden, dumm starrenden Augen.
»Weißt du, wie man ein Huhn rupft?«
Bills Blick glitt von der Frau zur Henne.
ABER WIR FÜTTERN SIE, wandte er hilflos ein.
»Und später geben sie uns zu essen. So ist das eben in der Hühnerwelt. Herr Flinkwert hat ihnen immer den Hals umgedreht, aber ich habe nie herausgefunden, wie man’s richtig anstellt. Deshalb benutze ich das Beil. Es ist eine recht blutige Angelegenheit, und die Hühner laufen noch eine Zeitlang durch die Gegend, aber sie sind sofort tot, und das wissen sie auch.«
Bill Tür überlegte. Das Huhn sah ihn
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