Alles total groovy hier
einem das ansehen.
Beweg dich, als ob die ganze Gegend dir gehört, riet ich mir.
Und wenn du auf Zigeuner triffst, nimm die Beine in die Hand.
Ich fand die Stelle, an der sich der Pfad gabelte. Rechtsrum ging's zur Alten Käserei, links zu dem so sorgfältig eingezäunten Grundstück. Fünf Minuten später sah ich das Tor. Das mit den vielen Warnschildern. Mir war bei meinem ersten Besuch keine Kamera aufgefallen, doch hatte ich auch nicht sonderlich darauf geachtet. Übers Tor wollte ich sowieso nicht, also bog ich vom Pfad ab, kraxelte eine Böschung hoch, schlug einen weiten Bogen und erreichte den Zaun. Er bestand aus Maschendraht von erheblicher Steifigkeit, oben NATO-Draht-gekränzt, unten ins harte, trockene Erdreich eingegraben. Zwei Längen Aluleiter und ein alter Teppich würden mich oben drüber führen, eine Spitzhacke und Schaufel untendrunter, eine stabile Kneifzange, Blechschere oder ein kleinerer Bolzenschneider mittendurch.
Bar jeden Werkzeugs, blieb mir erst mal nur die empirisch gewonnene Gewissheit, dass es immer, immer, immer einen Weg hinein gibt. Hunde jaulten in einiger Entfernung. Ob das mit meinem Herumgeschleiche zu tun hatte, war unmöglich zu sagen, brauchte mich auch erst mal nicht zu kümmern. Nicht, solange ich noch draußen war.
Es gibt solche Zäune um Rennstrecken, Freibäder, Festivalgelände. Und es gibt immer Leute, die das provoziert. Die strengen sich dann richtig an, einen Weg hindurch zu finden. Und zwar bevorzugt da, wo es die Gegenseite nicht schon im ersten Ansatz mitkriegt.
Ich entdeckte meine Stelle inmitten eines Dickichts aus krüppeligen, kaum hüfthohen Kiefern. Jemand hatte im Sichtschutz der Zweige den Maschendraht durchtrennt und ein Loch geschaffen, gerade groß genug, um sich durchzuzwängen. Jemand anders hatte das später bemerkt, hatte die Zaunmaschen wieder zusammengeschoben und untereinander mit Bindedraht verzwirbelt. Mit Bindedraht von einer Stärke, wie man ihn auch mit bloßen Fingern wieder aufgedröselt bekommt, vorausgesetzt, man hat für die ersten zwei, drei Umdrehungen einen Autoschlüssel oder Ähnliches parat. Ich griff in meine Hosentasche.
Jetzt lief ich geduckt, ich konnte nicht anders. Ich war drin, ungebeten, unautorisiert, also schlich ich, intensiv bemüht, jede Begegnung, jede Konfrontation, jede Form von Auseinandersetzung zu vermeiden. Hundegeheul kam auf und verging wieder. Ich schwitzte. Das Gelände war leicht hügelig, dabei aber kahl bis auf einzelne, kniehohe, äußert kratzige Büschel von Vegetation. Null Deckung, hieß das. Und nichts, aber auch gar nichts zum Dranhochklettern, sollte jemand auf die Idee kommen, die Hunde auf mich zu hetzen.
Ein blasser Lichtschein krönte einen flachen Hügel.
Ich hastete hinauf. Suchte, fand eine flache Vertiefung. Dachte an Skorpione, an Schlangen, rupfte einen dürren Ast ab und fegte ihn halbherzig hin und her, bevor ich mich auf den Bauch warf und Stück für Stück nach vorn robbte. Bis zu einer Kante.
Die Anlage stank zum Himmel. Sie stank nach Tristesse, nach Elend, nach Verwahrlosung und Verwesung. Und hübsch anzuschauen war sie auch nicht gerade. Mit rostigem Wellblech gedeckte Drahtverhaue, dazwischen nackter, von Rinnsalen durchzogener Boden, übersät mit Scheißhaufen und Müll, alles unter spärlicher Neonbeleuchtung, und davon Reihe auf Reihe auf Reihe. Ouer vor die Käfigreihen hatte man eine längliche Baracke aus Beton gesetzt. Ein Stahlrohrkamin ragte aus ihrem Flachdach und entließ eine Oualmwolke in die stehende Luft. Auf dem Vorplatz der Anlage parkte der grüne Lkw.
Ihn hatte ich gesucht.
Jetzt hatte ich ihn gefunden. Leer, natürlich. Nun brauchte ich mich nur noch runterzuschleichen und irgendwie festzustellen, wohin die Flüchtlinge von hier aus verfrachtet worden waren.
Das war die Idee. Nur die Umsetzung erforderte ein wenig Mut. Und den aufzubringen, ein wenig Zeit.Vielleicht war es klug, erst noch ein wenig zu beobachten. Nach einer etwas unbestimmten Spanne des Mutaufbringens und klugen Beobachtens flog eine Tür an dem Betonbau auf und ein dicklicher Typ kam heraus, gekleidet wie ein Koch, wenn auch mit Gummischürze. Ein Strick baumelte von seiner Hand. Er watschelte eine Reihe Zwinger ab, und die Hunde tobten darin herum, heulten in den höchsten Tönen. Töne, die sich nonverbal verständlich machten, die Urinstinkte ansprachen, gattungsübergreifend. Töne nackter Angst, Todesangst. Der Kerl öffnete eine der Türen, ging in einen der
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