Alles total groovy hier
entfernt. Trotzdem stand es nun offen, war Alice verschwunden.
»Wir können und wollen sie nicht gefangen halten, Kristof. Wir bemühen uns nur, sie zu stabilisieren, zum Essen zu ermutigen, von Drogen fernzuhalten.
Den Erfolg siehst du hier.«
»Von Drogen fernzuhalten«, echote ich. »Wofür genau schuldet sie dir noch mal Geld?«
»Uns, Kristof. Sie schuldet uns Geld. Sechs Monate Standplatzgebühren, unter anderem. Natürlich habe ich ihr zu Anfang ... Sachen verkauft, auch auf Kredit. Bis der Grad ihrer Abhängigkeit und Verwirrung unübersehbar wurde. Seither sind wir praktisch so was wie ihre Pflegeeltern geworden. Sie hat sonst niemanden.«
Bis auf ihren Morpheus, dachte ich. Ihren Frodo. Schon auf halbem Weg zurück zur Paradise Lodge, kam mir Alma entgegen und heftete sich dann an meine Hacken. Sie war aufgelöst, in jeder Hinsicht.
»Wieso musstest du sie so bedrängen, Kristof? Warum konntest du ihr keine Ruhe lassen?« Sizilianisches Klageweib, dachte ich und lief schneller, im Versuch, mit meinen Vorahnungen Schritt zu halten und gleichzeitig Alma hinter mir zu lassen, das ist die einzige Rolle, mit der diese Bratze nicht völlig überfordert wäre. »Das ist alles allein deine Schuld!«
Scuzzi stand vor Alices Wohnmobil, bedrückt, ratlos. Ich ging an ihm vorbei, die Stufen hoch.
Sie lag auf ihrer nackten Matratze, eine Injektionsspritze noch in der Armbeuge, blau im Gesicht, die Lippen weiß, die Augen starr, tot.
»Ich war bei Rolf, in der Bar«, sagte Scuzzi. »Alma hat sie gefunden. Da war sie schon ex.«
»Okay«,sagte ich. »Raus hier, alle raus.«
Ich holte den Schlüssel aus meiner Hosentasche, setzte mich in den Fahrersitz, schaltete die Zündung ein, sah die Kontrolllämpchen aufleuchten. Ins Krankenhaus, in die nächste Großstadt, zur nächsten Gerichtsmedizin.
Meine Schuld. Das würden wir ja sehen.
Warum hatte Alice nicht.ein einziges Mal zu mir gesagt:
>Ichweiß, wer Schisser getötet hat, doch wenn ich es verrate, bringen die mich um.< Warum nicht? Aus Furcht, natürlich. Stattdessen hatte sie mich raten lassen. Und ich riet immer noch.
Ich drehte den Schlüssel.
»Sie hat sich eine Seebestattung gewünscht, Kristof.«
Roxanne wich nicht von meiner Seite, lief mit mir hin und her. Ich hatte alles an Hauben offen, sämtliche Anschlüsse überprüft, sämtliche Sicherungen, alle Flüssigkeiten, ich hatte die Batterie aus dem Hymer ausgebaut und hierhin geschleppt und mit dem Überbrückungskabel an die von Alices Wohnmobil angeschlossen, und noch immer tat sich nichts. »Wir sollten das respektieren.«
Ich hatte auch sämtliche Gaffer weggejagt, angefangen mit Alma. Nur Roxanne und Scuzzi hatten dem irgendwie widerstanden. Meine Stirn sank auf das Lenkrad. Etwas wie Fieber schüttelte mich durch. Heiße Stirn, klamme Griffel, rasender Puls, generelle Mattigkeit, der Wunsch, entweder in Schlaf zu sinken oder schnellstmöglich das Weite zu suchen oder aber zu töten.
Typische Angstsymptome. Und das Beängstigendste im Moment war die Vorstellung, war das Gefühl, Schritt für Schritt einen Kampf zu verlieren, ohne den Gegner jemals zu fassen oder auch nur zu Gesicht gekriegt zu haben.
»Sie hat immer wieder gesagt, sie wolle durch den Spiegel gehen«, sagte Roxanne. »Sie hat es sich wirklich gewünscht.«
Na dann, was hält uns?, dachte ich. In den großen Teich mit dem Kadaver. Ist doch nur barmherzig. So wie alles, was wir hier tun, barmherzig ist und zum Besten der Menschheit. Nur Kryszinski sieht überall Morde, der arme Verwirrte.
»Du weißt, wie feindselig die Behörden uns und unserer Lebenseinstellung gegenüberstehen. Die Sache mit dem toten Baby hier an unserem Strand ist schlimm genug. Jetzt noch eine Drogentote, und selbst Enrique und Carlos, unsere Freunde von der Guardia Civil, können uns nicht mehr schützen.«
Unsere Freunde Enrique und Carlos, dachte ich und spürte meine Schulter.
»Kristof, wenn die wollen, können sie uns hier festsetzen, die Gizelle für unbestimmte Zeit an die Kette legen. Denk an Goa, Kristof. Wir wollen doch eine neue Lodge gründen. Im wirklichen Paradies.«
Sechs Wochen Seereise voll sexueller Wonnen, gefolgt von einem völlig neuen Leben in sachte umnebeltem Müßiggang an tropischen Gestaden. Ich atmete tief durch. Begriff etwas. Goa als Lockmittel. Das, begriff ich, hättest du dir besser verkniffen, Herzchen.
»Hufschmidt, Kripo Mülheim.«
»Pass auf«, flüsterte ich. Keiner hatte mich beim Rausgehen beobachtet,
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