Alles total groovy hier
auf dem Tisch, zwei dösende Schäferhunde darunter.
O Mann. Schäferhunde. Null Rückgrat. Aber jede Menge Zähne.
Auf Zehenspitzen entfernte ich mich von dem Fenster, stoppte dann, machte kehrt und presste meine Nase rasch noch mal gegen die Scheibe.
In der linken oberen Ecke des Fernsehbildschirms tickerte eine Digitalanzeige von 59:28 auf 59:27 auf 59:26. Restspielzeit. Und damit nur noch knappe vierzehn Minuten bis zur Halbzeitpause. Eijeijei. Wo Licht ist, ist auch ein Schalter. Meine Augen waren mittlerweile gründlich ans Dunkel gewöhnt, die der Wachleute nicht. Manchmal sind es solche Kleinigkeiten, die bei einer Aktion den Unterschied ausmachen zwischen einem guten Ausgang und einem bösen Erwachen in U-Haft oder auf der Intensivstation.
Wenn nicht gar am Empfang von Luzifers Hotel und Grillstube. Lichtquelle - Stromkabel-Schalter. So simpel. Das Kabel verschwand in der Wand des Küchentraktes. Drinnen waren alle Lampen aus, wofür ich von Herzen dankbar war. Ich tastete die Wand ab, fand eine Klappe, und dahinter zwar keine Schalter, aber eine ordentliche Reihe Sicherungen. Bestens. Leg einen Schalter um, und auch dem dämlichsten Wachmann wird bei seinem Anblick klar, dass da jemand seine Hand im Spiel gehabt haben muss. Bei einer Sicherung hingegen ... Alles kann eine Sicherung raushauen. Ich fing mit der ganz links an.
Klack, und schlagartig erstarben nebenan alle Fernsehgeräusche. Scheiße, Scheiße, Scheiße - klack, wieder hoch den Hebel und dann flach geatmet, bis das Stakkato des Sprechers und das Hintergrund-Gegröle der Stadionbesucher wieder ihre volle Lautstärke erreicht hatten. Drei Klacks später lagen die Käfigreihen im Dunkeln. Ich ging leise, aber aufrecht zwischen ihnen hindurch. Die Hunde heulten, tobten, doch hatten sie das in den letzten zwanzig Minuten schon rund zehnmal ohne Anlass getan und niemand hatte sich darum geschert.
Hinter der fünften Gittertür zu meiner Linken war es still. Ich trat heran. Im ersten Augenblick schien der Zwinger leer, erst nach längerem, konzentriertem Hinsehen bemerkte ich eine Gestalt, die sich in die hintere, rechte Ecke drückte. Die Gestalt eines Mannes, schwer auszumachen auch aufgrund der dunklen Farbe seiner Haut.
»Sprechen Sie Deutsch?«, fragte ich leise.
Keine Antwort. Na, blieben noch zwei Optionen. Für mich zumindest.
»Parlez-vous francais?« Keine Antwort. Schwein gehabt, bei meinen Französischkenntnissen.
»Do you speak English?«
»You«,kam es leise, furchtsam und doch anklagend aus dem Dunkel des Käfigs, »you were with them!«
Hoppla. Keine Ahnung, wie er mich bei den herrschenden Lichtverhältnissen erkannt hatte. Aber vielleicht war ja von da, wo er stand, der Rest der Welt hell wie der lichte Tag.
»I am looking for the woman, who has lost her baby girl«, sagte ich, anstelle irgendwelcher Ausflüchte oder Erklärungen. Es war ja eh nicht zu leugnen, dass Kryszinski munter mitgeholfen hatte, ihn und einen Haufen andere auf den Lkw zu treiben.
»Why?«,wollte er wissen.
»I want to show her a picture of her little girl«, antwortete ich, mit einem Kloß im Hals. »She is dead.«
»Yes«,sagte er und schickte mich weiter die Gasse hinunter. »Ask for Johanna.«
»I'll get help«, versprach ich.
»Sure«, meinte er mit einer Resignation, die bodenlos wirkte.
Sie weinte und sie weinte und sie weinte. Sie weinte, bis der Akku von Scuzzis Handy den Geist aufgab und das Foto verschwand, und dann brach es erst richtig aus ihr heraus. Mehrere Hunde ließen sich anstecken, begannen zu jaulen, und das wiederum ließ Mitgefangene in den umliegenden Käfigen ihrerseits in ersticktes Schluchzen verfallen.
Ungewissheit ist eine ewige Folter. Die hatte ich Johanna ersparen wollen. Dazu war ich hergekommen. Nun hatte sie Gewissheit, und ich saß da, in der Hocke, inmitten all dieses Kummers, und fühlte mich einfach nur beschissen. Die Kleine hatte Hope geheißen. Hoffnung.
Der Erwähnung des Namens folgte neues Aufschluchzen ringsum, und mir begann so langsam die Zeit knapp zu werden. Halbzeit nahte.
Johanna kam aus dem Kongo. Nachdem Rebellentruppen praktisch ihre ganze Familie abgeschlachtet hatten, wollte sie nur noch fort, hatte sie ihr Haus und alle ihre Habseligkeiten in aller Hast verkauft. Das erlöste Geld brachte sie und ihr Töchterchen gerade mal bis Mauretanien, an einen Strand, an dem schon Hunderte von anderen Flüchtlingen auf ihre Chance warteten. Alle hatten sie gewarnt, als diese Schleusertruppe
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